TEXTGRÖSSE:
Max OtteFinanzexperte
Aktien kaufen - jetzt!


Prof. Dr. Max Otte, geboren 1964, lehrt an der FH Worms und leitet das von ihm gegründete Institut für Vermögensentwicklung in Köln. Mit seinem Buch „Der Crash kommt“ sagte er die Wirtschaftskrise von 2008 voraus.


Jörg Steinleitner:  Herr Professor Otte, mit Ihrem Buch „Der Crash kommt“ haben Sie die Krise vorhergesagt und viel Geld verdient. Sind Sie beleidigt, wenn wir Sie als „Krisengewinnler“ bezeichnen?

Max Otte:  Nein, das nicht. Ich habe das ja selbst in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung so formuliert, allerdings in ironischer Absicht. Es wäre mir lieber gewesen, ich hätte dieses Geld nicht verdient und die Krise wäre nicht gekommen. Ich habe ja auch vorher in der leichten Hoffnung gewarnt, dass es vielleicht nicht so schlimm wird, wenn sich die Leute auf die Krise vorbereiten.

Jörg Steinleitner:  Ihr Werk „Investieren statt Sparen“ ist ein Plädoyer für Aktien. Allerdings haben Sie diesen Bestseller lange vor der aktuellen Wirtschaftskrise geschrieben. Glauben Sie nach allem, was passiert ist, noch an Aktien?

Max Otte:  Mehr als damals, aber abgeklärter und reifer. Damals war die Aktieneuphorie ... Dennoch gebe ich in dem Buch sehr bodenständige Ratschläge. Aber rückblickend muss man sagen, dass die 2000er ein verlorenes Aktienjahrzehnt waren. Der DAX steht jetzt da, wo er vor zehn Jahren war. Das heißt aber für mich, dass jetzt ein viel besserer Zeitpunkt für Aktien ist. Denn Sie kaufen mit einer Aktie ja quasi ein bewegliches Objekt. Die Wirtschaft wächst und die Unternehmen, die sie jetzt kaufen, sind mehr wert als vor zehn Jahren. Aber sie kriegen sie noch zu dem gleichen Preis wie vor zehn Jahren. Das heißt: Ich wäre nicht mehr so euphorisch wie damals, aber ich glaube, dass der Zeitpunkt jetzt sogar ein besserer ist.

Jörg Steinleitner:  In diesem Buch erläutern Sie mehrere Strategien, mit denen man auf Aktienbasis sein Vermögen mehren kann. Je nachdem, wie risikobereit man ist, empfehlen Sie z.B. die ziemlich idiotensichere Kaufleute-Strategie oder die Königs-Strategie. Würden Sie sagen, dass diese Strategien nach der Wirtschaftskrise noch einmal neu bewertet werden müssen, oder funktioniert das immer noch?

Max Otte:  Zunächst einmal muss ich sagen – ich spreche hier ja mit Juristen – das Buch ist nur ein Ratgeber, der Strategien vorführt, die funktioniert haben. Das sind Anregungen zum eigenen Denken. Die Einzelbewertung muss immer vom Käufer selbst zum jeweiligen Kaufzeitpunkt getroffen werden. Sie können nie blind nach einem Buch vorgehen. Aber im Prinzip ist all dies, was ich da geschrieben habe, noch valide. Bei der Königs-Strategie geht’s ja einfach nur darum, in sehr gute Unternehmen mit sehr guten Finanzzahlen zu investieren. Bei der Kaufleute-Strategie geht’s darum, in normale Unternehmen zu investieren, die aber sehr billig sind und sehr hohe Dividenden abwerfen. Das funktioniert eigentlich immer noch. Voraussetzung bei der Aktienanlage ist immer, dass Sie viel Zeit mitbringen, denn die Märkte sind irrational und können auch mal mehrere Jahre in die falsche Richtung laufen. Aber letztlich sind Aktien die rentabelste langfristige Anlageklasse.

Jörg Steinleitner:  Zeit haben die meisten unserer Leser, viele sind Studenten und Referendare und damit noch ideal jung für eine Aktienanlage. Aber gerade in dieser Lebensphase kurz vor oder nach dem Berufsstart hat man eigentlich kein Geld übrig, um sich ein Vermögen aufzubauen. Würden Sie trotzdem, wenn Sie heute Student wären, etwas anzulegen?

Max Otte:  Ja natürlich. Je früher, desto besser, denn dann wirkt das Wunder des Zinseszinses: Wenn Sie 10 Prozent Rendite schaffen, was mit einer halbwegs geschickten Aktienauswahl möglich ist – nicht jedes Jahr, aber im Durchschnitt – dann verdoppelt sich ihr Depot alle sieben Jahre. Das heißt, den, der mit 20 anfängt, können Sie mit 40 fast nicht mehr einholen. Und gerade bei Juristen sehe ich, dass viele ihr Geld schlecht investieren. Juristen gucken mehr aufs Verdienen. Bei der Kapitalanlage sind sie oftmals nicht so geduldig, langfristig und geschickt wie Mittelständler. Also ich würde in der Tat mit 20 anfangen. Leider merke ich bei meinen Vorträgen, dass die Leute das Thema erst so ab 35 oder 40 interessiert, wenn das Haus gebaut ist, und wenn man dann ein bisschen was übrig hat. Das ist aber eigentlich viel zu spät. Ich würde jetzt in Topunternehmen investieren, oder in einen breit streuenden globalen Aktienfonds, und dafür jedes Vierteljahr vielleicht 250 Euro abzwacken.

Jörg Steinleitner:  Berufsanfänger werden oftmals von Versicherungen, Finanzdienstleistern und Co. belagert. Was empfehlen Sie da?

Max Otte:  Würd’ ich nichts machen. Ich würde mich im Thema Aktienanlage bilden, ich würde meine Aktien oder Fonds selber aussuchen. Gerade bei Riester-Produkten zum Beispiel hat die Wirtschaftswoche ausgerechnet, dass man oft 90 Jahre alt werden muss, damit man was von der Förderung hat. Weil die Branche eben extrem daran mitverdient. Wenn Sie einfach einen bestimmten, guten Fonds, der global ist, oder einen deutschen oder europäischen Fonds, einmal im Vierteljahr kaufen, dann ist für Ihr Vermögen mehr getan, als wenn Sie irgendeinen Plan von einem Finanzdienstleister kaufen. Die ganzen Vertriebsleute müssen ja bezahlt werden. Und die leben nicht schlecht von dem, was sie tun, normalerweise.

Jörg Steinleitner:  Wenn wir noch einen Blick auf die Weltwirtschaft werfen: Die amerikanische Notenbank pumpt im Moment sehr viel Geld auf den Markt, gleichzeitig wanken mehrere europäische Staaten. Stehen wir bereits vor der nächsten Finanzkrise?

Max Otte:  Wir haben sicherlich wenig bis nichts getan, um die nächste Krise oder Blase zu vermeiden. Ich rechne aber nicht mit einer akuten Krise. Die Euro-Hysterie war auch übertrieben. Das war letztlich ein versteckter Angriff auf das deutsche Wirtschaftssystem. So schlecht geht es Europa nicht. Es geht Amerika viel schlechter. Europa hat im Schnitt ein Haushaltsdefizit von 6 Prozent, Amerika hat 11 Prozent. Dort schlägt die Staatswirtschaft Blüten (nicht hier in Europa) und dort kann es noch zu Verwerfungen kommen. Aber ich rechne nicht mit einer allgemeinen Finanzpanik wie Ende 2008.

Jörg Steinleitner:  Sie haben während der von BP verursachten Ölkatastrophe empfohlen, BP-Aktien zu kaufen. Gibt es für Sie Investments, die Sie moralisch oder juristisch für nicht vertretbar halten?

Max Otte:  Ja. Aber BP halte ich deswegen für vertretbar, weil da eine Scheinexekution eines Konzerns in der Öffentlichkeit stattfand. Die anderen sind auch nicht viel besser. Entweder wir fahren keine Autos mehr oder man kann diese Investition auch machen. Alles andere ist aus meiner Sicht heuchlerisch. Aber es gibt schon Anlagen, die ich nicht tätigen würde. Zum Beispiel reine Abzockermodelle, wo Kapital emittiert wird, mit erneuerbaren Energien geworben wird, aber dahinter stehen sehr windige Geschäftsmodelle, von denen vor allem der Emittent reich wird. Sowas mache ich nicht mit.

Jörg Steinleitner:  Waffenproduzenten?

Max Otte:  … nur in Ausnahmefällen. Wenn bei einem Konzern Teilbereiche mit Waffen befasst sind, dann würde ich mir das genauer überlegen. Aber letztlich sind wir in diese Weltwirtschaft verstrickt und ich halte es für ein bisschen blauäugig zu sagen, wir kaufen die Aktien nicht, nutzen aber die Produkte und die sonstigen Segnungen, die uns diese Firma bringt.

Jörg Steinleitner:  Von ethischen Anlagen halten Sie aber auch nichts?

Max Otte:  Gar nichts. Das ist meistens leider eine Verkaufsmasche. Da verdient dann auch wieder eine Compliance- oder Ethikbürokratie dran, da gibt es Bewertungsfirmen, die den Ethikstempel draufmachen. Ob dann da wirklich Ethik drin ist – wenn Sie also zum Beispiel Ethikfonds nach dem „Best of Class“-Ansatz nehmen, wo dann der relativ nachhaltigste Ölkonzern reingenommen wird, also das halte ich für Augenwischerei. Die ganze Richtung, die unser Öffentliches Recht nimmt, halte ich für falsch: Wenn ein Konzern sündigt, dann muss der Staat die entsprechenden Regeln aufstellen und durchsetzen. Wir können das nicht bottom-up machen. Government statt Governance und Selbstregulierung. Ich bin dem klassischen deutschen Staatsrecht verbunden, das irgendwo bei Hegel und Kant in der Rechtsphilosophie anfängt und irgendwo bei Carl Schmitt endete; für mich ist es die Aufgabe des Staats, da Normen zu setzen und Regeln zu schaffen.

Jörg Steinleitner:  Aber kommt denn der Finanzwelt nicht auch eine moralische Verantwortung zu?

Max Otte:  Nein. Das ist eine staatliche Aufgabe. Unternehmen haben die Gesetze zu beachten und die Gesetze müssen so sein, dass sie der Allgemeinheit dienen. Aber unser Gesetzgebungsprozess ist mittlerweile so was von lobbyisiert und partikularisiert und Einzelinteressen (be)dienend – das ist genau der Gegensatz zwischen angelsächsischem und deutschem Staatsrecht; es ist auch eine Folge des Zweiten Weltkriegs. Ich meine, wir haben auch viele positiven Folgen, aber eine negative Folge davon ist, dass sich die angelsächsische Rechtsvorstellung mehr und mehr auch in Kontinentaleuropa durchsetzt. Und das halte ich für grundverkehrt. Tragfähiger war die deutsche Rechtsvorstellung auch, was die Wirtschaftsnachhaltigkeit anging. England hatte Kolonien, an denen es Raubbau betrieb. In Deutschland und Kontinentaleuropa waren wir eigentlich immer sehr nachhaltig, was das Wirtschaften anging. Eben, weil auch alles ziemlich gut geregelt war.

Jörg Steinleitner:  Vor allem in Ihrem Buch „Investieren statt sparen“ raten Sie grundsätzlich von Aktienfonds ab und empfehlen, direkt in Aktien zu investieren. Weshalb?

Max Otte:  Da bin ich heute etwas skeptischer, weil ich merke, dass viele es nicht durchhalten. Natürlich ist die Kostenbelastung viel geringer. Wenn Sie heute Nestlé-Aktien kaufen, zahlen Sie nicht die 1,5 und mehr Prozent jährlich für den Fonds, Sie haben ein mehr oder weniger absehbares kontinuierliches Wachstum, 3,5 Prozent Dividende … Genauso ist es bei einer Total-Aktie, bei RWE oder EON. Aber trotzdem sehe ich das heute differenzierter: Für einen Anfänger ist vielleicht auch ein billiger Fonds gut. Aber achten Sie immer auf die Gesamtkostenquote oder Total Expense Ratio; die sollte unter 1,8, vielleicht sogar unter 1,5 Prozent liegen.

Jörg Steinleitner:  Sie selbst managen einen Anlagefonds. Ist das nicht ein Widerspruch?

Max Otte:  Jain. Ich berate seit zehn Jahren Kunden. Ich merke, dass manche für die Direktanlage nicht geeignet sind. Je mehr Kunden ich habe, desto schwieriger wird’s für mich natürlich auch. Das ist in der Tat ein Produktmix, es kann auch Kunden geben, die einen Teil des Depots im Fonds haben, weil ich da aktiver bin. Einem Studenten würde ich vielleicht schon raten, auch mit ein paar Aktien anzufangen. Er kann sie einfach ins Depot legen und nach zehn Jahren wieder hinschauen. Das ist übrigens auch eine Übung in Selbstdisziplin. (lacht)

Jörg Steinleitner:  Wie gut können Juristen mit Geld umgehen?

Max Otte:  Ah, ich habe einige Juristen als Kunden gehabt … das ist immer etwas schwierig. Nicht, weil man sich direkt streitet, das ist zum Glück noch nicht vorgekommen, aber weil sie bei der einfachen Aktienanlage immer den juristischen Trick suchen. Und den gibt’s nicht. Man investiert einfach in gute Aktien und hält sie. Und das geht auch meistens auf.

Jörg Steinleitner:  Sind Juristen also nicht so geschickt im Umgang mit Geld?

Max Otte:  Ja, weil es ihnen schwer fällt, von ihrer Juristen-Denke wegzukommen.

Jörg Steinleitner:  Was ist das genau, was da im Weg steht?

Max Otte:  Der Jurist sucht komplexe Konstruktionen, den Haken, er sucht Umwege. Das ist ja auch alles für seinen Beruf richtig und gut, aber bei der Aktienanlage sucht man einfach was Gutes, und das kauft man, Ende.

Jörg Steinleitner:  Herr Professor, vielen Dank für das Gespräch.



Das Interview wurde in Auszügen abgedruckt in dem Juristenmagazin "Life and Law" 04/2010.1

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