Der Autor des Bestsellers "Die Globalisierungsfalle" über die Anarchie auf den Finanzmärkten, den Klimawandel und andere aktuelle Gefahren der Globalisierung
Jörg Steinleitner: Herr Schumann, nach "Die Globalisierungsfalle" legen Sie und Christiane Grefe mit "Der globale Countdown" ein zweites Buch zum Thema vor. Was hat sich seither zum Schlimmen verändert?
Harald Schumann: Bedrohlich sind heute vor allem die Anarchie auf den Finanzmärkten, die Spaltung zwischen Arm und Reich, die Knappheit der Rohstoffe und der Klimawandel. Andererseits aber waren die Regierungen und Völker einander noch nie so nah wie heute.
Jörg Steinleitner: Was meinen Sie damit?
Harald Schumann: Die Globalisierung hat die gegenseitige Abhängigkeit der Nationen so weit vorangetrieben, dass internationale Zusammenarbeit zur Voraussetzung wird, um überhaupt vernünftige Politik betreiben zu können – das ist unsere zentrale These. Instabilität in einem Staat kann die anderen unwillkürlich in Mitleidenschaft ziehen, wie jüngst bei der US-Immobilienkrise. Darum nimmt die Kooperation ständig zu: ob bei UN-Friedenseinsätzen, beim Klimaschutz oder der Re-Regulierung der Finanzindustrie.
Jörg Steinleitner: Rechnen Sie deshalb doch eher nicht mit einem dritten Weltkrieg? Immerhin lautet Ihr Untertitel: "Gerechtigkeit oder Selbstzerstörung" ...
Harald Schumann: Ein Krieg der Großmächte wie im letzten Jahrhundert ist unwahrscheinlich. Denn damit lässt sich nichts mehr gewinnen. Ein großer Krieg würde das globale Marktsystem zerstören und aller Wohlstand wäre verloren. Bedrohlich sind aber die regionalen Konflikte um Wasser, Ackerland oder Erdöl. Diese könnten so eskalieren, dass auch die Großmächte mit hineingezogen werden. Umso wichtiger ist es, durch intensive Entwicklungszusammenarbeit und eine radikale Umstellung auf Erneuerbare Energien gegenzusteuern. Der Countdown läuft!
Jörg Steinleitner: Auch bei uns wächst der Unmut über soziale Ungerechtigkeiten. Wie soll die schlimmste Armut vermieden werden?
Harald Schumann: Das ist Aufgabe des Staates, die reichen EU-Staaten tun das ja auch. Das größere Problem ist die relative Verarmung der Mittelschichten. Die großen Unternehmen nutzen die globale Standortkonkurrenz, um Staaten und Arbeitnehmer gegeneinander auszuspielen. So zahlen sie anteilig immer weniger Steuern und ziehen immer größere Teile des von allen erarbeiteten Reichtums an sich, während die Mehrheit mit schrumpfenden Einkommen leben muss. Das erzeugt große Angst vor dem sozialen Abstieg – eine extrem gefährliche Entwicklung. Sie treibt die Menschen Populisten in die Arme, die mit fremdenfeindlichen Parolen und Feindbildern vom bösen chinesischen Staatskapitalisten und verschwörerischen Muslimen an die Macht drängen.
Jörg Steinleitner: Wie sehr glauben Sie an die Macht des Einzelnen, etwas ändern zu können?
Harald Schumann: Wir können allein schon durch unser Konsumverhalten ganze Weltkonzerne verändern. Und heute vernetzt sich auch die Zivilgesellschaft global. Das reicht vom Engagement der Stars wie Bono bis zur Aktion „Saubere Kleidung“, bei der Aktivisten aus allen Kontinenten bessere Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern durchsetzen. Die Weltgesellschaft wächst von oben und unten gleichzeitig zusammen, das ist die große Chance.
Jörg Steinleitner: Herr Schumann, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview wurde in Auszügen abgedruckt in buchSzene 2008/2.
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