TEXTGRÖSSE:
Joachim BauerMedizinprofessor und Psychotherapeut
Eine Dosis Glückshormone


Joachim Bauer ist sowohl für innere Medizin als auch für Psychatrie habilitiert. Im Gespräch mit Jörg Steinleitner erklärt der Neurobiologe, was den Menschen zum Menschen macht.


Jörg Steinleitner:  Herr Professor Bauer, in Ihrem neuen Buch "Prinzip Menschlichkeit" behaupten Sie, wir Menschen seien nicht primär auf Egoismus und Konkurrenz eingestellt.

Joachim Bauer:  Genau, die Nadel unseres eurobiologischen Kompasses zeigt eindeutig in Richtung Zuwendung, Anerkennung und gelingende soziale Beziehungen. Amerikanische Neurobiologen sprechen inzwischen vom „social brain“. Das ist das Thema meines Buches.

Jörg Steinleitner:  Warum begegnen wir in unserem Alltag dann dauernd Menschen, die mit Ellenbogen gegen uns arbeiten und nur an ihr eigenes Fortkommen denken?

Joachim Bauer:  Wo wir Konkurrenz und Kampf haben, geht es primär um Anerkennung. Wenn dieser Kampf zu offener Aggression führt, entwickeln sich allerdings sehr häufig sekundäre Aggressionskreisläufe. Solche Aggressionsspiralen, die sich verselbständigt haben, sehen wir zum Beispiel im Nahen und Mittleren Osten, sie sind heute weltweit das größte Problem. Aggression wurde so zu einem der bedrohlichsten biologischen Phänomene unserer Zeit. Wir haben gute Chancen, uns als Menschheit damit selbst zu vernichten.

Jörg Steinleitner:  Woher kommen Terrorismus, Mobbing, politische und familiäre Kriege?

Joachim Bauer:  Der biologische „Sinn“ von Aggression ist die Verteidigung der körperlichen Unversehrtheit und die Abwehr von Schmerz. Erstaunlicher Weise bewertet das Gehirn soziale Ausgrenzung oder Verachtung fast identisch wie heftigen körperlichen Schmerz! Auch Armut kann, wenn andere in Reichtum leben, als Verachtung erlebt werden und Aggression hervorrufen.

Jörg Steinleitner:  Wovon hängt es ab, ob jemand bereit ist zu sozialem Verhalten?

Joachim Bauer:  Es hängt von der Kunstfertigkeit des Einzelnen ab, gelingende Beziehungen zu gestalten. Wir haben ein Paradoxon: Auf der einen Seite hat uns die Natur die neurobiologische Ausrichtung auf gute soziale Beziehungen eingepflanzt. Was uns biologisch jedoch nicht mitgegeben wurde, ist eine angeborene Fähigkeit zu gutem „sozialen engineering“. Die Menschheit musste daher erst einen langen Suchprozess durchlaufen, bis sie einige der Regeln erkannte, die gute Beziehungen möglich machen. Dieser Regelapparat ist ein entscheidender Teil von dem, was wir „Kultur“ nennen.

Jörg Steinleitner:  Mit Ihren neurowissenschaftlichen Befunden stellen Sie sich gegen einige bisher gültige biologische und soziologische Theorien. Haben Sie schon erste Aggressionen aus der konkurrierenden Fachwelt zu spüren bekommen?

Joachim Bauer:  Das aktuelle Gegenstück zu meinem Buch – wir haben uns aber nicht abgesprochen – ist Peter Sloterdijks „Zorn und Zeit“. Sein Buch steht in der philosophischen Tradition und bezieht sich auf Homer und Nietzsche, meines steht auf naturwissenschaftlichem Boden. Ich weiß mich in meiner Sicht der Dinge einig mit prominenten Biologen. Zwar bin ich ein Anhänger der darwinschen Abstammungslehre und habe weder mit dem Kreationismus noch mit „Intelligent Design“ etwas am Hut. Womit sich mein Buch aber kritisch auseinandersetzt, das ist eine Ideologie, der zufolge das Programm der Biologie einen „war of nature“ vorsehe, wie Darwin es formulierte.

Jörg Steinleitner:  War Darwin denn Sozialdarwinist?

Joachim Bauer:  Ja, das war er. Den meisten ist das aber nicht bekannt, deshalb geht mein Buch auch ein Stück weit darauf ein. Darwin forderte, dass „der Mensch einem heftigen Kampf ausgesetzt bleiben“ müsse. Viele wissen nicht, dass er auch der Meinung war, der gegeneinander gerichtete Kampf der menschlichen „Rassen“ werde am Ende nur eine übriglassen.

Jörg Steinleitner:  Was bedeuten Ihre Erkenntnisse für unser Zusammenleben mit anderen Menschen?

Joachim Bauer:  Wenn die neurobiologische Grundmotivation des Menschen auf soziale Anerkennung und Zuwendung gerichtet ist, dann ergibt sich daraus: Ohne halbwegs gelingende zwischenmenschliche Beziehungen kann es keine nachhaltige Motivation geben, weder am Arbeitsplatz noch im Bereich Erziehung und Bildung, noch in der Medizin.

Jörg Steinleitner:  Sie sagten aber vorhin, dass uns die Fähigkeit, gute Beziehungen zu gestalten, nicht angeboren ist.

Joachim Bauer:  So ist es, die Evolution ist mit uns noch nicht soweit, daß wir das von alleine könnten. Das heißt, wir Menschen haben die spannende Aufgabe, selbst herauszufinden, wie man gute Beziehungen gestaltet. Das ganze ist ein kultureller Suchprozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist, bei dem wir aber schon recht weit gekommen sind.

Jörg Steinleitner:  Wie sollen wir unser Leben ändern, um von Ihren Erkenntnissen zu profitieren?

Joachim Bauer:  Ich muss eine Balance finden zwischen meinem Wunsch und dem Wunsch des anderen, beachtet zu werden und Anerkennung zu finden. Ich muss den anderen Menschen wahrnehmen und mich ihm zuwenden; auf die Gegenstände seiner Aufmerksamkeit eingehen und ihm zu erkennen geben, dass ich seine Perspektive verstehe. Diese Komponenten muss ich einerseits selbst einbringen, ebenso muss ich sie aber auch vom anderen einfordern.

Jörg Steinleitner:  Was haben Sie und wir nun in diesem positiven Falle rein neurobiologisch gewonnen – und was wäre anders gewesen, wenn Sie sich nicht die Zeit für das Interview genommen hätten?

Joachim Bauer:  Das Beispiel unseres Zusammenwirkens hier im Interview macht sehr schön deutlich, worum es ganz allgemein geht, wenn biologische Akteure in Aktion treten: Egoismus heißt im Grunde Leerlauf. Der Kern aller Biologie, und dazu gehören auch wir beide, ist die kooperative Interaktion. Gegenseitigkeit und Resonanz ist eine Art biologisches Gravitationsgesetz. Das beginnt mit der Spiegelstruktur der DNA bis hinauf zum Beziehungstier namens Mensch. Dass wir beide kooperiert haben, hat unsere Motivationssysteme aktiviert und bei mir – und hoffentlich auch bei Ihnen – eine kleine Dosis von Glückshormonen freigesetzt. Das wird uns gesund halten. Ohne gelingende soziale Kooperation stürzen die Motivationssysteme des Menschen ab. Von daher haben wir beide nicht nur für unsere Leser, sondern auch für uns etwas Gutes getan.

Jörg Steinleitner:  Herr Professor Bauer, vielen Dank für das Gespräch.



Das Interview wurde abgedruckt im ThaliaMagazin 4/2006.

ZURÜCK     |      Mehr Infos zu Jörg Steinleitner auf www.steinleitner.com     |