Deutschlands bekannteste Feministin Alice Schwarzer über die Sehnsucht nach Liebe, männliche Privilegien und ihr neues Buch
Jörg Steinleitner: Frau Schwarzer, die Kapitelüberschriften Ihres Buches sind jeweils Klischees, die von vielen Menschen noch als Wahrheiten angesehen werden. Es sind Sätze wie: „Frauen sind von Natur aus anders“, „Das Kind braucht die Mutter“, „Prostitution wird es immer geben“. Diese Behauptungen widerlegen Sie eine nach der anderen. Ist Ihr aktuelles Buch "Die Antwort" eine Art Resümee Ihres bisherigen Lebenswerks?
Alice Schwarzer: Nein, kein Resümee meiner persönlichen Arbeit, die beschränkt sich ja nicht auf die Frauenpolitik im engeren Sinne. Aber ein Resümee der aktuellen Lage, der Widersprüche zwischen Realität und Debatte – und der Zerreißprobe, in der sich Frauen wie Männer heute zwischen dem gewaltigen Fortschritt und der Gefahr des Rückschritts befinden.
Jörg Steinleitner: Bei aller Freude über den Fortschritt machen Sie auch klar, dass Sie längst nicht zufrieden sind. Was muss sich noch ändern?
Alice Schwarzer: Frauen dürfen nicht um jeden Preis geliebt werden wollen – und Männer sollten ihre Angst vor dem Verlust von Privilegien ruhig eingestehen.
Jörg Steinleitner: In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie Kanzlerin Angela Merkel bei einem Staatsbesuch arabischen Scheichs unverschleiert die Hand gibt – und wie Sie selbst bei einer Reise durchs Niltal einen Wüstenschleier tragen. Was ist wann angemessen?
Alice Schwarzer: Mein Wüstenschleier am Nil war ein Ausdruck des Respektes vor den Sitten der Frauen – ein Kopftuch in einem fundamentalistisch regierten Land wäre ein Zeichen der Unterwerfung unter die Macht der Männer.
Jörg Steinleitner: Sie prangern die „falsche Toleranz“ vieler politischer Kräfte mit dem politisierten Islam an. Was tut not?
Alice Schwarzer: Die Menschenrechte sind unteilbar! Und sie gelten selbstverständlich für Frauen aus dem islamischen Kulturkreis genau so wie für uns. Wichtig ist: gezielte Koedukation, Deutschkurse auch für die zuhause eingeschlossenen Mütter und Schutz für bedrohte Töchter und Söhne.
Jörg Steinleitner: Sie schildern auch eine Szene aus dem Jahr 2006: Ein Kollege sagt da zu Ihnen: „Das mit der Abtreibung, das würden Sie heute doch sicherlich ganz anders sehen als 1971“. Sie finden das nicht. Warum nicht?
Alice Schwarzer: Weil es bei dieser Debatte überhaupt nicht um Abtreibung geht, sondern nur darum, ob Frauen, die abtreiben, ein Recht darauf und auf Hilfe haben. Denn Frauen, die kein Kind bekommen wollen, bekommen keines; egal, ob auf Abtreibung die Todesstrafe steht wie in der Nazizeit, oder ob sie gläubige Katholikinnen sind. Die einzige Folge des Abtreibungsverbotes sind: 70.000 tote Frauen im Jahr. 70.000 Frauen, die an dilettantischen Abtreibungen elend gestorben sind. Dazu möchte ich einmal etwas hören von den selbsternannten „Lebensschützern“ und vom Papst.
Jörg Steinleitner: Sie vermuten, dass das Argument der mangelnden Gebärfreudigkeit vor allem die Frauen ausbremsen soll. Aber meinen Sie nicht auch, dass gerade die jüngeren Männer längst begriffen haben, welche Vorteile es hat, wenn ihre Frauen berufstätig sind?
Alice Schwarzer: Das ist richtig. Aber diese Frauen sollen nicht voll berufstätig sein, sondern Teilzeit arbeiten. Damit sie Zeit haben, den Männern mit der Familienarbeit den Rücken freizuhalten – und keine ernstzunehmende Konkurrenz mehr am Arbeitsplatz sein. Ich aber bin dafür, dass Frauen und Männer sich die Welt teilen – und das Haus.
Jörg Steinleitner: Frau Schwarzer, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview wurde in Auszügen abgedruckt in buchSzene 2007/2. www.buchSzene.de
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