Andrea Maria Schenkel aus Nittendorf bei Regensburg ist dank Ihres sensationellen Krimidebüts "Tannöd" seit kurzem Bestseller-Autorin. Ein Gespräch mit der dreifachen Mutter – über Respekt, das Schreiben und darüber, was sich in ihrem Leben geändert hat.
Jörg Steinleitner: Frau Schenkel, wie lebt es sich als Nr. 1 der deutschen Bestsellerlisten?
Andrea Maria Schenkel: Wenn ich ganz ehrlich bin, auch nicht anders als vorher. Es ist natürlich ganz toll, phantastisch, aber manchmal meine ich, dass es gar nicht wahr ist. Es ist einfach unglaublich!
Jörg Steinleitner: Mit was haben Sie vor Ihrem phänomenalen Debüt Ihre Tage verbracht und wie sieht Ihr Leben jetzt aus?
Andrea Maria Schenkel: Vor dem Roman habe ich meine Tage damit verbracht, meine Kinder zu versorgen und meinem Mann, er ist Arzt, in der Praxis zu helfen. Und daran hat sich eigentlich auch noch nicht allzu viel geändert. Es ist nach wie vor noch so, dass, wenn ich zu Hause bin, ich hauptsächlich Mutter und Hausfrau bin. Es ist nur hinzugekommen, dass ich jetzt auch schreib’ und dass ich nicht so viel zu Hause bin. Die Zeit ist beschränkter geworden. Aber ich würde sagen, es ist nicht negativ, denn dadurch ist die Zeit auch ein bisschen intensiver. Man überlegt sich genauer, was man macht mit der verbleibenden Zeit.
Jörg Steinleitner: Sind Ihre Kinder schon so groß, dass sie verstehen, was da passiert in Ihrem Leben?
Andrea Maria Schenkel: Ja, an und für sich schon. Die Kleine ist 8, der Mittlere ist 11 und der Große 15. Die verstehen das eigentlich recht gut und sie sind viel selbständiger geworden seitdem. Es funktioniert also wirklich recht schön und darüber bin ich sehr glücklich.
Jörg Steinleitner: Hat Ihr großer Sohn Ihr Buch schon gelesen?
Andrea Maria Schenkel: Ja, er war auch derjenige, dem ich das Buch immer vorgelesen habe. Der findet es toll.
Jörg Steinleitner: In welchen Arbeitsschritten ist "Tannöd" entstanden?
Andrea Maria Schenkel: Über die Idee für "Tannöd" bin ich gestolpert. Es war ein Zeitungsartikel in der Süddeutschen Zeitung. Mich hat diese Geschichte von diesem wahren Mordfall interessiert und dann habe ich mich hingesetzt und mir überlegt: Wie könntest du eine Geschichte um das Ganze herummachen.
Jörg Steinleitner: Wie sind Sie dann weiter vorgegangen?
Andrea Maria Schenkel: Ich habe mir dann noch weitere Informationen geholt, im Internet war ein Bericht drin, den ich mir durchgelesen hab’, aber ich habe eigentlich gar nicht mal soviel recherchiert. Ich habe mich dann auch noch einmal mit dem Peter Leuschner getroffen, der das Sachbuch geschrieben hat, aber mehr ist an und für sich an Recherche über den konkreten Fall nicht gewesen. Weil, wenn ich ganz ganz ehrlich bin, mich der wahre Fall gar nicht so sehr interessiert hat.
Jörg Steinleitner: Aber diese Augenzeugenberichte in Ihrem Buch …
Andrea Maria Schenkel: … die sind rein fiktiv. Auch, wenn sie sich echt anhören. Was mich an dem wahren Fall wirklich interessiert hat, das ist sein Grundgerüst. An dem habe ich mich sozusagen entlang gehangelt. Aber diese Augezeugenberichte, die sind rein fiktiv. Ich habe mich hingesetzt und mir überlegt: Was würden die Leute sagen?
Jörg Steinleitner: Wie haben die Menschen in Ihrem Dorf auf Ihren Erfolg reagiert?
Andrea Maria Schenkel: Relativ unspektakulär. (lacht) Manche haben mir gratuliert, manche haben mich angesprochen, aber eigentlich die meisten haben überhaupt keinen Kommentar dazu abgegeben.
Jörg Steinleitner: Haben Sie aus dem Dorf Hinterkaifeck in Oberbayern, in dem der wahre Fall sich ereignet hat, irgendwelche Reaktionen bekommen?
Andrea Maria Schenkel: Überhaupt nicht. Es hat ja auch mit den Leuten dort nichts zu tun. Der reale Fall ist ja bereits in den 20er Jahren geschehen. Ich war während des Schreibens nicht dort und wollte dort auch nicht hingehen, weil mich eben – das ist, was viele nicht verstehen – der wahre Fall nicht interessiert.
Jörg Steinleitner: Aus welchem Grund haben Sie den Fall in die 50er Jahre verlegt?
Andrea Maria Schenkel: Weil für mich die Zeit einfach näher ist. Ich konnte mir eher vorstellen, wie Leute in den 50er Jahren sprechen. Für mich war das vollkommen logisch, das in die 50er zu versetzen. Ich hätte das nie in den 20ern geschrieben, weil die Zeit einfach zu weit weg ist. Dann hätte ich näher an dem wahren Fall dranbleiben müssen. Das wollte ich ja nicht.
Jörg Steinleitner: Wie und wann schreiben Sie?
Andrea Maria Schenkel: Ich arbeite hauptsächlich abends, wenn es ruhiger wird. Dann kann ich mich hinsetzen. "Tannöd" habe ich noch ganz geheim neben meinem Alltag hergeschrieben. Es war damals relativ günstig, weil mein Mann zu dem Zeitpunkt sich auf eine Fortbildung vorbereitet hat. Das war für mich günstig, denn da konnte ich mich in aller Ruhe jeden Abend hinsetzen und schreiben. Überarbeitet habe ich das Buch dann im Urlaub. Das war phantastisch. Ungefähr sechs Monate habe ich insgesamt an dem Buch gearbeitet.
Jörg Steinleitner: Brauchen Sie beim Schreiben eine bestimmte Atmosphäre?
Andrea Maria Schenkel: Ja, ich brauch’ Ruhe. (lacht) Das ist alles. Ich brauch’ Ruhe und ich brauch’ meinen eigenen Rhythmus. Und das ist natürlich ein bisschen schwierig. Ich brauche meinen Laptop vor mir und am besten setze ich mich ganz ganz bequem, nicht an einen Schreibtisch, sondern aufs Bett oder auf die Wohnzimmercouch; und das muss dann bequem sein und ich brauch’ eine Tasse Schwarztee vor mir, meistens einen irischen, und dann geht’s.
Jörg Steinleitner: Aber hatten Sie denn auch Ruhe, als Sie "Tannöd" geschrieben haben? Hat Ihre Familie Sie damals denn überhaupt als Schriftstellerin ernst genommen?
Andrea Maria Schenkel: Ja, das haben die überhaupt nicht ernst genommen! Da war das mehr so ein Hobby. Aber das zweite Buch haben sie wirklich respektiert. Es war wirklich so, dass wenn ich sagte „Ich arbeite!“ dann blieben sie aus dem Zimmer draußen und bemühten sich, mich nicht zu stören. Sie sind da wirklich sehr kooperativ. Ich muss zwischendurch aber natürlich auch Zeit für sie haben.
Jörg Steinleitner: Wie lange schreiben Sie etwa am Stück?
Andrea Maria Schenkel: Das ist ganz ganz unterschiedlich. Ich hab’ schon, wenn ich allein war und die Zeit dazu hatte, dann hab’ ich schon sechs, sieben, acht Stunden geschrieben. Und wenn ich die Zeit nicht hab’, dann sind’s zwei Stunden, drei Stunden. Deshalb ist der Abend ganz günstig, weil die Kinder dann im Bett sind und ich mich hinsetzen und schreiben kann. Und wenn ich dann um 12 müde bin, dann gehe ich um 12 ins Bett und wenn ich um eins müde bin um eins.
Jörg Steinleitner: Gibt es irgendwelche Gefühlslagen, die Sie überhaupt nicht brauchen können zum Schreiben? Wenn Sie sich über etwas geärgert haben …
Andrea Maria Schenkel: Ich kann mich recht gut loslösen. Es ist wirklich so, dass das Schreiben eine andere Welt ist. Ich darf nur vorher nicht drüber nachdenken. Das ist mir auch schon passiert, dass ich mir vorher genau überlegt hab’, was ich schreiben möchte; ich hatte eine tolle Idee und hab’ mich dann hingesetzt und dann war die Idee weg. Ich habe zwar das grobe Konzept im Kopf, aber ich darf mich nicht hinsetzen und bis ins Kleinste drüber nachdenken, denn sonst ist es weg. Es geht nur, wenn ich direkt da sitze und schreibe.
Jörg Steinleitner: Haben Sie auch keine Gliederung neben sich liegen?
Andrea Maria Schenkel: Ich hab’ eine Gliederung sozusagen im Kopf und ich hab’ mir Stichpunkte dazu vorher in einem Notizbuch gemacht. Einen einfachen Ablaufplan. Im Vorfeld überlege ich mir genau, wie ich es machen möchte. Und dann arbeite ich das Stück für Stück ab. Und wenn ich den Plot einmal durch hab’, dann fange ich an und überarbeite ihn noch einmal Seite für Seite.
Jörg Steinleitner: Den Deutschen Krimipreis und den Hörbuchpreis haben Sie bereits gewonnen. Kann man da einfach so weiter schreiben?
Andrea Maria Schenkel: Ich hatte das zweite Buch bereits fertig, ehe ich die beiden Preise gewonnen habe.
Jörg Steinleitner: Und Sie arbeiten jetzt schon am dritten?
Andrea Maria Schenkel: Ich würde wahnsinnig gern. Ich habe wahnsinnig viel Informationsmaterial zu Hause. Ich hoffe, dass ich jetzt die nächsten zwei Wochen, weil ich da ganz frei habe, ohne irgendwas, da hoffe ich, dass ich gut vorankomm’.
Jörg Steinleitner: Schreiben Sie jetzt ganz anders, weil Sie nun eine Krimipreisträgerin sind?
Andrea Maria Schenkel: Nein, ich glaub’ nicht. Ich glaub’ nicht, dass sich da irgendwas verändert hat.
Jörg Steinleitner: Verraten Sie uns schon etwas über Ihr zweites Werk?
Andrea Maria Schenkel: Das zweite ist nicht mehr wie "Tannöd", es spielt nicht am Land, es spielt in der Stadt, in München, es beruht wieder auf einem wahren Fall und es ist nicht in der Gegenwart. Und es ist kein Ermittler! Kein Detektiv! Niemand! (lacht).
Jörg Steinleitner: Frau Schenkel, vielen Dank für das Interview.
Das Interview wurde in Auszügen abgedruckt in Krimi. Das Magazin für Wort und Totschlag 2007. www.wortundtotschlag.de
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