TEXTGRÖSSE:
Batya GurSchriftstellerin
"Die Fragilität des Lebens"


Ihre Inspektor Ochajon-Romane machten Batya Gur, Jahrgang 1947, zum Literatur-Star. Jörg Steinleitner traf die berühmteste Krimi-Autorin Israels im Münchner "Hotel Vierjahreszeiten". Batya Gur verriet Ihre geheimen Gedanken über die Liebe, ihre Kindheit, Rassismus und ihr neuestes Werk "Denn die Seele ist in deiner Hand".


Jörg Steinleitner:  Frau Gur, ist der Alltag in einer Stadt wie Jerusalem so, wie Sie ihn beschreiben – geprägt von Rassismus und Vorurteilen?

Batya Gur:  Ja, der ist so. Das ist aber überall in der westlichen Welt so. Das Besondere an Jerusalem ist, dass wir es nicht erwarten, weil es eine heilige Stadt ist.

Jörg Steinleitner:  Ochajon sagt in Ihrem Kriminalroman "Denn die Seele ist in deiner Hand", nicht jeder Mensch sei bereit, einen anderen Menschen zu fressen, um zu überleben. Wovon hängt dies ab?

Batya Gur:  Ich glaube vom Sinn für Ästhetik. Es ist unästethisch, auf Kosten anderer zu leben. Deshalb mag ich reiche Leute nicht, weil ich weiß, dass man nichts erreichen kann, ohne andere zu treten. Aber arme Leute können auch schlecht sein.

Jörg Steinleitner:  Am Ende Ihres Romans werfen Sie die Frage auf, ob man um Liebe kämpfen kann ...

Batya Gur:  Das geht nicht. Liebe ist ein Geschenk Gottes, wenn Sie an Gott glauben.

Jörg Steinleitner:  Auf einer der letzten Seiten des Buches schreiben Sie auch, dass Angst die Wurzel allen Übels ist. Haben Sie Angst?

Batya Gur:  Ja natürlich. Ich habe vor vielen Dingen Angst. Aber ich habe diese Angst niemals mein Leben kontrollieren lassen. Sie ist ein Teil von uns und sie ist eine der Wurzeln des Bösen. Ihre Seele wird sehr klein, Sie werden geizig, gemein und dumm, wenn Sie Angst haben.

Jörg Steinleitner:  Sie erwähnen die israelitischen Luftschutzräume in Ihrem Roman. Wann waren Sie das letzte Mal in einem Schutzraum wegen einer drohenden Gefahr?

Batya Gur:  Nie. Und ich werde niemals in einen gehen. Ich werde zu Hause sitzen und wenn ich sterbe, dann sterbe ich. Da werde ich leidenschaftlich. Wir haben Schutzräume in jedem Haus in Israel. Und normalerweise nützen die Leute sie als Abstellräume. Außer, wenn ein Krieg naht. Aber ich gehe da nicht rein. Ich will nicht die Fragilität meines Lebens spüren.

Jörg Steinleitner:  Sie beschreiben sehr einfühlsam das Innenleben des Mädchens Nesja. Woher wissen Sie so genau, wie Kinder fühlen?

Batya Gur:  Ich kann mich an meine Kindheit erinnern. Wenngleich ich nicht wie Nesja war: Ich sah okay aus, hatte Freunde. Aber ich glaube, jeder hat eine kleine Nesja in sich. Jedes Kind hat Momente, in denen es sich klein und hässlich fühlt. Meinen drei Kindern versuche ich immer weniger das Gefühl zu geben, Nesja zu sein: immer weniger einsam.

Jörg Steinleitner:  Frau Gur, ich danke Ihnen für das Gespräch.



Das Interview wurde abgedruckt in Krimi. Das Magazin für Wort

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