TEXTGRÖSSE:
Stefan KleinPhysiker, Philosoph und Bestseller-Autor
Sklaven am Strand


Bestseller-Autor Stefan Klein (Die Glücksformel) über Stress, Ängste, unser komisches Zeitgefühl und sein neues Werk Zeit - Der Stoff aus dem das Leben ist


Jörg Steinleitner:  Herr Klein, wir würden mit Ihnen gerne über Ihr neues Buch "Zeit – Der Stoff aus dem Leben ist" sprechen. Haben Sie überhaupt Zeit – und wenn ja: Wie lange?

Stefan Klein:  Eine Viertelstunde.

Jörg Steinleitner:  Wir sagen oft, „ich habe keine Zeit“ – und haben dann doch welche. Oder wir denken, wir hätten jetzt mal viel Zeit, zum Beispiel im Urlaub, und schwups, ist die schöne Zeit schon vorbei. Wovon hängt es ab, ob wir Zeit haben oder nicht?

Stefan Klein:  Das Gefühl, ob wir uns reich oder arm an Zeit fühlen, hängt viel weniger von der Zahl der reinen Minuten ab als wir meinen. Jeder unter uns kennt Menschen, die gut gelaunt viele Termine bewältigen und jeder kennt das berühmte Phänomen, dass ältere Menschen, die nicht mehr arbeiten und eigentlich auf einmal sehr viel Zeit haben, diese trotzdem als furchtbar knapp empfinden. Das Gefühl der Hetze hat also nichts mit der Anzahl der Minuten zu tun, die uns für einen bestimmten Vorgang bleiben. Sondern mit der Überlastung des Gehirns. Wir fühlen uns unter Druck, wenn so viele Informationen eintreffen, dass bestimmte Zentren des Großhirns nicht mehr auswählen können, was gerade am wichtigsten ist. Wenn bestimmte Regionen im Gehirn überlastet sind, die dafür sorgen, dass wir Ordnung in unseren Vorhaben halten, dann haben wir das Gefühl keine Zeit zu haben.

Jörg Steinleitner:  Und woher kommt das Gefühl der Überlastung?

Stefan Klein:  Ein häufiger Grund für diese Überlastung ist Stress. Meist glauben wir, dass wir gestresst sind, weil wir keine Zeit haben. Häufig ist es aber genau anders herum: Wir haben keine Zeit, weil wir gestresst sind. Übrigens steckt hinter diesem Stress häufig Angst. – Die Angst, jemandem etwas nicht recht zu machen, die Angst um den Job … plötzlich fühlt man sich gestresst und spürt Zeitdruck. Dieses Gefühl der Zeitknappheit erschafft sich dann ganz schnell seine eigene Wirklichkeit. Denn dadurch, dass wir im Stress sind, brauchen wir wiederum für Sachen länger und haben in der Folge noch mehr Stress. Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen.

Jörg Steinleitner:  Wieso kommt es uns so vor, als verginge die Zeit immer schneller, je älter wir werden?

Stefan Klein:  Das hat verschiedene Gründe. Bis zum 70. Lebensjahr hat es damit zu tun, dass wir immer mehr Lebenserfahrung haben und weniger neue Erinnerungen speichern, weil wir meinen, das meiste im Leben schon zu kennen. Auch merken wir uns weniger von dem, was wir erlebt haben. Zeit aber spüren wir nur, wenn etwas passiert. – Jenseits des 70. Lebensjahres kommen auch noch gehirnorganische Änderungen hinzu.

Jörg Steinleitner:  Was können wir tun, um uns dem Eindruck, die Zeit rase, zu entgehen?

Stefan Klein:  Wir können uns neuen Erfahrungen aussetzen, Tagebuch führen, dann erinnern wir uns besser an das, was wir erlebt haben und dann erscheinen uns die Tage auch wieder länger.

Jörg Steinleitner:  Was ist denn Zeit überhaupt?

Stefan Klein:  Wenn ich Ihnen das in drei Sätzen sagen könnte, dann hätte ich keine 260 Seiten darüber geschrieben. Soweit man diese Frage beantworten kann, habe ich sie in meinem Buch beantwortet – aber dafür ist in diesem Interview die Zeit wirklich zu knapp. (lacht)

Jörg Steinleitner:  Inwiefern hängt das Thema Ihres neuen Buches mit seinem unglaublich erfolgreichen Vorgänger "Die Glücksformel" zusammen?

Stefan Klein:  Es hängt insofern mit der „Glücksformel“ zusammen als sowohl Glücksgefühle als auch das Zeitempfinden in uns selbst entstehen, in unseren Köpfen. In beiden Büchern untersuche ich wie genau das geschieht und welchen Einfluss wir darauf nehmen können. Positive Gefühle können ganz stark das Zeitgefühl verändern …

Jörg Steinleitner:  Es ist …

Stefan Klein:  … als würde die Zeit vorbeifliegen. – Umgekehrt kann das Empfinden von Zeitdruck und Stress die Zeit verlangsamen und dem Entstehen von guten Gefühlen und Lebenszufriedenheit entgegenstehen. Beide – Glücksempfinden und Zeitgefühl hängen viel weniger von den äußeren Umständen ab als wir glauben. Unglück oder Zeitdruck haben viel mehr damit zu tun, wie wir diese äußeren Umstände interpretieren und erleben. Und darauf haben wir Einfluss.

Jörg Steinleitner:  Sind Sie selbst glücklicher seit Sie diese beiden Bücher geschrieben haben?

Stefan Klein:  Beide Bücher haben mein eigenes Leben ganz stark verändert. Klar, ich wäre ja schön blöd, wenn ich meinen Lesern Empfehlungen an die Hand geben würde, aber diese Empfehlungen nicht selbst nutzen würde. Insbesondere mein Zeitempfinden hat sich durch die Beschäftigung mit dem Thema sehr stark verändert. Ich bin gelassener geworden.

Jörg Steinleitner:  Ist die „Carpe diem“-Forderung schädlich für unser Wohlbefinden, weil sie uns unnötigerweise unter Zeit- und Handlungsdruck setzen will?

Stefan Klein:  Das hängt davon ab wie man sie versteht. Eine Schwierigkeit vor der wir heute stehen, ist die, dass wir heute mehr Möglichkeiten haben als Menschen jemals zuvor. Wenn Sie möchten, dann liegen Sie in drei Stunden in Spanien am Strand. Dies ist jetzt aber nur eine Möglichkeit von vielen. Sie müssen sich nun entscheiden, welche Sie wahrnehmen wollen – und unter Umständen auch auf diese und jene Möglichkeit verzichten. Diese Verzichte aber fallen vielen Menschen schwer. Das spricht jedoch nicht dagegen, den Tag zu nutzen, es spricht dafür, sich genau zu überlegen, was wir in unserem Leben machen wollen. Mein Buch über Zeit ist auch ein Buch über persönliche Vorlieben, persönliche Ziele. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, wenn wir unser Verhältnis zur Zeit klären wollen.

Jörg Steinleitner:  Ein Teil Ihres Buches handelt von der Entstehung der inneren Zeit. Können Sie uns dieses Phänomen ganz kurz erklären?

Stefan Klein:  Die Zeit, die wir erleben, hat viel weniger mit der äußeren Zeit der Uhren zu tun als wir glauben. Das hat eine sehr wichtige Folge: Wir sind viel weniger Sklaven der Uhren als wir meinen. Die innere Zeit hängt letztlich davon ab, wie viel und welche Information das Gehirn verarbeitet, wie viel und was wir bewusst wahrnehmen – und darauf haben wir Einfluss. Darum ist mein Buch in hohem Maße ein Buch über Wahrnehmung. Wenn wir unsere Wahrnehmung ändern, dann ändern wir auch die innere Zeit.

Jörg Steinleitner:  Lohnt es sich eigentlich mehrere Dinge gleichzeitig zu tun?

Stefan Klein:  Nein, wir können nicht mehrere Dinge bewusst gleichzeitig machen. Vielleicht können wir gleichzeitig Autofahren und uns unterhalten, das geht aber nur, wenn wir Fahrpraxis haben und beim Autofahren nicht mehr bewusst auf alles achten müssen. Aber wenn Sie bei einem Fahrschüler mitfahren, der sich unterhalten will, da sollten Sie sich vorher gut anschnallen!

Jörg Steinleitner:  Warum können wir nicht mehrere Dinge gleichzeitig tun?

Stefan Klein:  Wir können deshalb nicht mehrere Dinge gleichzeitig tun, weil wir dann immer eine Sache nicht bewusst machen. Wenn wir Dinge gleichzeitig tun – z.B. eine SMS schreiben, während wir telefonieren – zerhackt das Gehirn die Zeit in ganz kleine Scheiben und der Übergang von einer Scheibe zur anderen, um im Beispiel zu bleiben – von der SMS zum Gespräch, dieser Übergang kostet jedes Mal viel Zeit und ist zudem sehr fehleranfällig. Bei dem Versuch Zeit zu sparen, verschwenden wir in Wirklichkeit Zeit. Wir hätten beide Aufgaben schneller und mit weniger Fehlern gelöst, wenn wir sie nicht gleichzeitig angegangen wären.

Jörg Steinleitner:  Wenn wir wenig Zeit haben, geraten wir allzu häufig in Stress. Können wir das vermeiden?

Stefan Klein:  Ja, ein ganz wichtiger Schritt ist, dass wir uns darüber klar werden, dass unsere Ängste und unerfüllten Sehnsüchte die eigentliche Quelle des Problems sind. Wenn wir uns mit denen auseinandersetzen, dann klären sich auch viele Dinge – wir merken, dass etwas Befürchtetes nicht so furchtbar schlimm ist, wenn es eintritt. Wir geraten nicht in Stress und fühlen uns damit auch nicht unter Zeitdruck. Ein zweites ist Konzentration – man kann sich wirklich angewöhnen, nur eine Sache zu einer Zeit zu machen. Wenn wir das tun, werden wir viel schneller. In meinem Buch gebe ich noch viele weitere Empfehlungen, die alle gut wissenschaftlich begründet sind.

Jörg Steinleitner:  Gibt es Bereiche unseres Lebens, die ganz und gar unabhängig von der Dimension Zeit sind?

Stefan Klein:  Ich wüsste nicht welche. (denkt nach) Oder warten Sie, es gibt Hinweise darauf, dass die fundamentalsten Naturgesetze nicht von der Dimension Zeit abhängig sind. Das hätte eine ganz aufregende Folge, wenn sich das bewahrheiten sollte, nämlich, dass die Zeit viel weniger fundamental ist als sie uns erscheint.

Jörg Steinleitner:  Woher kommen diese Vermutungen?

Stefan Klein:  Das sind Ergebnisse aus der theoretischen Physik, die aber noch experimentell bestätigt werden müssen. D.h. Zeit wäre dann etwas, was scheinbar unser Leben regiert, aber an den Fundamenten unseres Lebens, der Natur, überhaupt keine Rolle spielt.

Jörg Steinleitner:  Sie haben für Ihr neues Buch eine große interdisziplinäre Recherche gemacht. Welche Erkenntnis ist für Sie persönlich diejenige, die Sie im Zusammenhang mit dem Phänomen Zeit am meisten überraschte?

Stefan Klein:  Wie wenig die Zeit, die wir erleben, abhängt von der äußeren Zeit der Uhren; und dass wir keine Sklaven der Uhren sind, sondern Gestalter unserer eigenen Zeit – das finde ich schon erstaunlich!

Jörg Steinleitner:  Herr Klein, vielen Dank für das Gespräch.



Das Interview wurde in Auszügen abgedruckt in buchSzene 3/2006. www.buchszene.de

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