Geboren 1950 gilt Adler-Olsen heute als erfolgreichster dänischer Krimiautor. Seine Kommissar-Mørck-Serie wird vom ZDF verfilmt. Der Autor wurde u.a. mit Skandinaviens wichtigstem Krimipreis, dem Glass Key Award, ausgezeichnet.
Jörg Steinleitner: Herr Adler-Olsen, Ihre Vorfahren lebten in Schleswig-Holstein. Was verschlug Ihre Familie nach Dänemark?
Jussi Adler-Olsen: Mein Urgroßvater kam um 1880 von Albersdorff in Schleswig nach Dänemark. Er hat Schornsteine aus Ziegelsteinen hergestellt und in Århus, der zweitgrößten Stadt Dänemarks, ein Vermögen gemacht. Er besaß mehrere Grundstücke, heiratete meine Urgroßmutter, eine Dänin, hatte mit ihr zwei Söhne und eine Tochter – die Mutter meines Vaters, die das jüngste von drei Kindern war. Ich bin mir sicher dass viele der Nachfahren noch in Århus leben.
Jörg Steinleitner: Gab es unter Ihren Vorfahren auch einen mit mysteriösen Untiefen – also jemanden wie Sie?
Jussi Adler-Olsen: Ja, mein Vater. Er war der wohl am besten ausgebildete Mensch, der jemals in Dänemark gelebt hat. Er war Professor für Medizin, Psychiater, erfahrener Chirurg, ausgebildet vom dänischen Konservatorium zum Dirigenten, Professor für Deutsch und Französisch, ausgebildet zum Pfarrer an der Universität Koppenhagen, Professor für Religionsgeschichte, Lehrer für Stenographie, weltbekannter Autor von „The art of Living together“ und kontroverser Bücher über Sexualverhalten und viele, viele andere Dinge. Er lehrte mich Methoden des Studierens und brachte mir vor allem bei, alle Menschen in all ihrer Unterschiedlichkeit zu mögen und zu verstehen. Er hatte unglaublich viele Talente. Eines davon war das Spielen der Violine. Musik, Philosophie und viel Neugierde hat unser Vater an mich und meine drei älteren Schwestern weitergegeben.
Jörg Steinleitner: In einem Interview sagten Sie, Schreiben sei „der beste Job der Welt“. Warum?
Jussi Adler-Olsen: Jedes Buch ist wie eine neue Studie und ich liebe es, genau wie mein Vater, immer wieder Neues zu lernen. Und wenn ein Buch beendet ist, kann ich mich wieder neuen Projekten und Studien zuwenden. Das Beste daran ist: du kannst schreiben, egal wo du dich gerade befindest und wann immer du dich danach fühlst. Du kannst so lange schlafen bis du dich total ausgeruht fühlst, du kannst einen Tag wie besessen arbeiten und am folgenden Tag nichts tun, du kannst 10 Projekte gleichzeitig bearbeiten, du kannst interessante Leute treffen und in unbekannte Regionen reisen. Egal wie alt du bist, ob du nun deine Zähne geputzt hast oder nicht: der Computer wartet darauf deine inneren Gedanken zu hören. Was kann es besseres geben?
Jörg Steinleitner: In Ihrem neuen Hörbuch "Schändung" geht es um eine Obdachlose, die sich an der High Society – Aktienhändler, Reeder, Schönheitschirurgen – rächen will. Ist unsere westliche Gesellschaft ungerecht?
Jussi Adler-Olsen: Mein Gott, natürlich ist sie das! Materielle Güter wie Autos, DVD-Player und HD-Fernseher sowie extrem seichte Unterhaltungsmedien ziehen die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich, so dass sie von den Ungerechtigkeiten in unserer Welt nichts mitbekommen. Wenn es uns selbst nur besser geht als unserem Nachbarn oder Kollegen, dann stört es uns nicht, dass wir es sehr viel besser haben als eine Bettlerin auf der Straße oder eine Mutter mit vier Kindern und einem gewalttätigen Ehemann. Wir verschließen unsere Augen gegenüber täglicher Ungerechtigkeit, beschweren uns aber über Tsunami-Katastrophen oder Steuererhöhungen.
Jörg Steinleitner: Haben Sie einen Vorschlag, wie man das ändern könnte?
Jussi Adler-Olsen: Ich habe eine Menge Vorschläge. Aber zuallererst müssen wir die Politiker davon überzeugen, dass sie allen Menschen gegenüber verpflichtet sind, nicht nur ihren Wählern.
Jörg Steinleitner: In "Erbarmen" erwacht eine Frau in einem Alptraum: Sie befindet sich in einer Druckluftkammer, in der sie für Jahre eingesperrt bleibt. Haben Sie selbst manchmal Alpträume?
Jussi Adler-Olsen: Ich habe nachts nie Albträume. Aber sehr oft am Tag. Beispielsweise wenn ich sehe, was Berlusconi, Anders Fogh Rasmussen, George W. Bush, Vladimir Putin und Nicolas Sarkozy im Namen selbstgemachter Ideologien der Gesellschaft und der Menschheit, mit einem Lächeln im Gesicht und übergroßem Selbstbewusstsein, antun und dabei gleichzeitig ihre Wähler hintergehen. Das lässt mir die Haare zu Berge stehen. Aber Angst ist für fast alle Menschen etwas Alltägliches – so haben manche Menschen Klaustrophobie, ich finde Angst zwischen den Zeilen der Tageszeitung.
Jörg Steinleitner: Was bedeuten Ihnen Hörbücher?
Jussi Adler-Olsen: Hörbücher sind in vielerlei Hinsicht fantastisch. Legastheniker und Blinde können plötzlich lesen, geschwächte und kranke Menschen können unterhalten werden, genau wie Millionen vielbeschäftigter Menschen, die nur Zeit zum „Lesen“ beim Autofahren haben. Ich habe viele Hörbücher während des Autofahrens gehört. In den letzten Monaten waren es so viele wie ich normalerweise Bücher lese. Für mich ist das Hörbuch ein wunderbares Medium. Und wenn es qualitativ so hochwertig umgesetzt wird wie meine Hörbücher in Deutschland, dann handelt es sich um pure Kunst.
Jörg Steinleitner: Herr Adler-Olsen, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview wurde in Auszügen abgedruckt in HörBuch 2010/2
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