TEXTGRÖSSE:
Carlos Ruiz ZafónBestseller-Autor
Malen mit Worten


Carlos Ruiz Zafón, 46, ist einer der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart. Ein Gespräch über das Künstlerleben, Melancholie und Phantasie


Jörg Steinleitner:  Herr Zafón, endlich ist Ihr Roman "Marina", den Sie bereits vor Ihren Erfolgen "Der Schatten des Windes" und "Das Spiel des Engels schrieben", auf Deutsch erschienen. Würden Sie dem zustimmen, dass in diesem Buch bereits viel von dem steckt, was Sie in den beiden späteren Werken weiterentwickeln?

Carlos Ruiz Zafón:  Ja, ich denke so könnte man das sagen. Ich schrieb "Marina" etwa zwei Jahre, bevor ich anfing an Der Schatten des Windes zu arbeiten. Man kann es durchaus als einen Wendepunkt in meiner Entwicklung als Schriftsteller bezeichnen. Vor Marina hatte ich drei Romane verfasst, die auf junge erwachsene Leser abzielten. Eigentlich sollte auch Marina für diese Leserschaft sein. Das Buch entwickelte sich jedoch in eine andere Richtung. Es wurde zu einer Art Brücke zwischen meinen frühen Arbeiten und den Büchern, die ich in Zukunft schreiben würde. In "Marina" findet man eindeutig Elemente, die die Ideen andeuten, die ich in "Der Schatten des Windes" und auch in "Das Spiel des Engels" weiterentwickelt habe. Man könnte sagen, dass das Werk eines Schriftstellers ein organischer Fluss ist, der sich langsam, von Buch zu Buch vorwärts bewegt.

Jörg Steinleitner:  Eines der zentralen Themen Ihres Romans ist das ewige Streben der Menschheit, künstliches Leben zu erschaffen und Tote zu Leben zu erwecken. Ist diese Vorstellung für Sie verheißungsvoller Traum oder Frankenstein’scher Alptraum?

Carlos Ruiz Zafón:  Ich halte "Marina" im Wesentlichen für eine Geschichte über Verlust; und der Tod ist ja im menschlichen Empfinden eng mit dem Gefühl eines Verlusts verknüpft. Diese fantastischen Elemente wende ich im Roman metaphorisch an, um die Gefühle dieser Charaktere, die mit extremen Umständen und dem Tod sehr nahestehender Personen konfrontiert sind, zu erforschen und auszudrücken.

Jörg Steinleitner:  Und wie stehen Sie nun zur Unsterblichkeit?

Carlos Ruiz Zafón:  Jedenfalls habe ich kein besonderes persönliches Interesse daran, unsterblich zu sein. Auch nicht an irgendwelchen bizarren Experimenten, wenn Ihre Frage darauf abzielt. Manchmal verwende ich in meinen Geschichten Fantasieelemente. Dies nicht, weil ich an das Überirdische glaube, sondern weil es mir ermöglicht, auf eine interessante Art und Weise die klassischen Themen der Literatur zu behandeln. Im Fall von "Marina" dramatisiere ich unseren Kampf, am Leben zu bleiben, das Überleben; ich versuche, die Bedeutung unserer so kurzen, mit Mühsal und Schmerz angefüllten Existenz zu ermessen. Ich verwende also diese „gotischen“ oder sehr dramatischen Umstände dazu, dem Leser die Essenz meiner Geschichte zu vermitteln. Und ich hoffe, es funktioniert!

Jörg Steinleitner:  Ihr Roman beschwört ein düsteres, kaltes, ja mörderisches Barcelona. Sie haben einmal geschrieben, „was man schreibt ist das, was einem am ähnlichsten ist“. Schlummert in Ihnen demnach eine düstere, kalte, mörderische Seele?

Carlos Ruiz Zafón:  Ich würde sagen, ich bin eine eher sonnige und freundliche Seele. Manchmal ist meine Sicht auf das Leben etwas melancholisch. Aber blickt man auf die Welt, in der wir leben, finde ich mich im Rahmen der Möglichkeiten ziemlich optimistisch. Ich meinte mit diesem Satz, dass die Art wie man schreibt, also Erzählstruktur, Logik der Sprache und rein abstrakte Elemente der Sprache, ganz gut widerspiegeln, wie man denkt und was für eine Person man ist. Die Themen, über die man schreibt, sind oberflächlich und vergleichsweise irrelevant. Nicht über was man schreibt, sondern wie man es schreibt, definiert einen Autor.

Jörg Steinleitner:  Eine Ihrer Figuren aus "Marina" sagt, das Leben gestehe jedem Menschen nur wenige Monate reinen Glücks zu. Glauben Sie das auch?

Carlos Ruiz Zafón:  In manchen Fällen trifft das so zu, in anderen Fällen wiederum findet sich nicht einmal ein Moment Glückseligkeit. Das Leben eines jeden ist unterschiedlich. Als Autor muss man nicht zwangsläufig alles unterschreiben, was die erfundenen Charaktere tun oder denken. Sie sind Kreaturen der Fantasie, und als Romanschreiber legt man ihnen Worte in den Mund, Ideen in ihre Köpfe und Gefühle in ihre Herzen, die mit dem Autor nichts zu tun haben müssen. Was diesen bestimmten Satz betrifft, halte ich es für möglich, dass sogar mehr Menschen als man denkt, nur ganz wenige Momente purer Glückseligkeit erleben dürfen. Dennoch hoffe ich, dass es nicht wahr ist und wir alle etwas Glück im Leben genießen können.

Jörg Steinleitner:  Ein immer wiederkehrendes Motiv Ihres Romans ist der schwarze Schmetterling. Was hat es damit auf sich?

Carlos Ruiz Zafón:  Der Schmetterling ist ein starkes metaphorisches Symbol für Transformation, Evolution, Verlangen und vieles mehr. Ich verwende solche Bilder und Motive als Teil der dramatischen Struktur, als Auslöser für Antworten im Kopf des Lesers. Ich glaube, man muss das Buch lesen, um die Bedeutung des schwarzen Schmetterlings zu begreifen ...

Jörg Steinleitner:  „Das Künstlerleben ist ein Leben voller Risiken, Unsicherheiten und, fast immer, Armut. Man sucht es sich nicht aus, es sucht einen aus“, heißt es einmal in Ihrem Buch. Wie und wann hat sich die Literatur Sie ausgesucht und weshalb gab es kein Entrinnen?

Carlos Ruiz Zafón:  Ich vermute, wir haben einander ausgesucht. Es ist schwer zu sagen, warum jemand dazu neigt, sich dieser oder jener Beschäftigung im Leben zu widmen. Schon als sehr kleines Kind ging es für mich immer um die Welt der Worte, der Bilder, Ideen, Fantasien, die Welt der Gedanken und Sprachen ... Dies waren immer die Dinge, die mich faszinierten und anregten und mit denen ich mich beschäftigen wollte. Warum, da bin ich mir nicht sicher. So ist eben mein Gehirn geschaltet. Mich interessiert das Geschichtenerzählen, das Anwenden von Logik und Struktur in der Sprache, sei es verbal, numerisch oder musikalisch. Es interessiert mich die Architektur von Texten, das Erfinden von Charakteren und Geschichten, die es uns erlauben unsere Gedanken zu erforschen, und das Leben und unsere Erfahrungen neu zu entdecken, und aus einer anderen Perspektive zu sehen. Ich liebe die Schönheit von Sprache, von Geschichten ... was soll ich sagen? Wie kann man sich der Schönheit der Literatur und des Geschichtenerzählens entziehen, wenn es einen anspricht?

Jörg Steinleitner:  „Malen ist Schreiben mit Licht“, sagt Ihre Figur Salvat. Was ist dann Schreiben?

Carlos Ruiz Zafón:  Schreiben ist Kommunizieren, es ist das Erbauen von Welten und Bildern und Geräuschen und Gefühlen und Ideen und vieler, vieler Dinge, mit der magischen Kraft von Papier und Tinte, mit Worten und Ideen, mit Abstraktionen, mit eben jener Essenz unserer Gedankenwelt. Beim Schreiben geht es darum, die Software unseres Gehirns dazu zu verwenden etwas Neues zu erschaffen, zu erforschen und zu verstehen, was in uns und was um uns ist. Schreiben ist das Kreieren von Schönheit mit dem Verlangen und dem unbedingten Willen zu erkunden und verstehen. Schreiben ist wie Malen mit Worten ... wer weiß? Könnte ich es mit ein paar Worten zusammenfassen, müsste ich kein Schriftsteller sein, um es herauszufinden.

Jörg Steinleitner:  Vielen Dank für das Gespräch.



Das Interview wurde in Auszügen abgedruckt der buchSzene 2011/2

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