Sebastian Fitzek, geboren 1971, schuf gleich mit seinem ersten Psychothriller einen Bestseller. Seine Werke werden in 20 Sprachen übersetzt. Sogar im Mutterland des Thrillers, den USA, ist Fitzek eine Größe. Ein Gespräch über Psychopathen, Angst und Kinder.
Jörg Steinleitner: Herr Fitzek, im Zentrum von "Der Augensammler" steht die Blinde Alina, die scheinbar wie eine Seherin in die Vergangenheit blicken kann. Was meinen Sie: Gibt es Menschen mit seherischen Fähigkeiten?
Sebastian Fitzek: Ich glaube, dass es auf jeden Fall Menschen mit sinnlichen Begabungen gibt, die wir uns heute (noch) nicht erklären können. Nehmen Sie zum Beispiel Zwillingsgeschwister, die manchmal eine kaum zu beschreibende, innere Verbindung fühlen. Ebenso wie manche Mütter zu ihren Kindern. Und erst jüngst las ich in einer seriösen Zeitung von einem Fall in den USA, wo ein vermisstes, autistisches Mädchen in den Sümpfen Floridas wiedergefunden wurde, nachdem die Retter die Suche schon eingestellt hatten. Und das von einem Mann, der behauptet, eine Stimme habe ihm befohlen, das Auto irgendwo im Nirgendwo zu parken, in den Sumpf zu gehen und das Mädchen abzuholen. Das FBI hat den Mann überprüft und keine Verbindung zu den Eltern und dem Kind feststellen können. Heute glauben wir noch an ein Wunder, vielleicht lässt sich das in einigen Jahrzehnten alles naturwissenschaftlich erklären. Die Erde ist laut Wissenschaftlern etwa 4,55 Milliarden Jahre alt, den Menschen gibt es seit ca. 200.000 Jahren auf unserem Planeten – logisch, dass wir längst noch nicht alle Geheimnisse entdeckt und entschlüsselt haben.
Jörg Steinleitner: Haben Sie Angst im Dunkeln?
Sebastian Fitzek: Kommt drauf an, was ich vorher gemacht habe. Wenn ich gerade einen spannenden Thriller gesehen oder gelesen habe, dann sind dunkle Keller nicht gerade mein bevorzugter Aufenthaltsort. Allerdings habe ich die Macke, dass ich nur bei kompletter Dunkelheit einschlafen kann – selbst ein Standbylämpchen des Fernsehers kann mich da schon stören.
Jörg Steinleitner: Worauf es im Leben wirklich ankomme, sei die Familie, heißt es in Ihrem Thriller, in dem ein Psychopath ein mörderisches Spiel mit Kindern und ihren Eltern spielt. Was bedeutet Ihnen Ihre Familie?
Sebastian Fitzek: Viel. Mit ihr fällt und steht einfach alles. Es mag altmodisch klingen, aber ich bin der festen Überzeugung, dass vieles in unserem Leben besser laufen würde, wenn sich jeder Mensch einfach nur um seine Familie kümmern würde. Ich rede hier nicht vom klassischen Familienbegriff, sondern von jeder möglichen Lebensgemeinschaftsform. Zu meiner Familie zähle ich nicht nur meine Verwandten sondern auch meine Freunde. Wenn man sich um den anderen kümmert, ist es unmöglich, das es niemandem auffällt, wenn ein Kind nicht zur Schule geht, misshandelt wird oder gar, wie jüngst wieder geschehen, verhungert.
Jörg Steinleitner: Hatten Sie für Ihre Recherchen je Kontakt mit einem echten Psychopathen?
Sebastian Fitzek: Nein, bis dato noch nicht. Da mich aber alles an der menschlichen Seele interessiert, ganz besonders die Abgründe, würde ich ein Interview mit einem Psychopathen ganz bestimmt nicht ablehnen. Am meisten Angst hätte ich allerdings davor, dass der Mensch mir am Ende sympathisch ist.
Jörg Steinleitner: Haben Sie Alpträume?
Sebastian Fitzek: Ja, einen wiederkehrenden – und den habe ich natürlich gleich verbraten, damals schon in meinem Erstling "Die Therapie": Ich fahre nachts mit meiner Freundin im Auto und wir können die Küste nicht finden, zu der wir eigentlich wollen. Die Straße ist sehr eng und führt durch einen dunklen, dichten Wald. Ich denke mir: „Mensch, wir müssten doch schon längst am Meer sein, so lange, wie wir schon unterwegs sind“, da lichtet sich auf einmal der Wald und ich erkenne, dass wir die gesamte Zeit nicht auf einer Straße sondern auf einem Steg gefahren sind. Der Steg führt weit über das offene Meer und hört plötzlich auf – ich sehe das Ende und kann nicht bremsen. Sobald das Auto abhebt und in den tosenden Wellen zu versinken droht, wache ich auf. Das ist so in etwa der Alptraum, der Viktor Larenz auf Parkum heimsucht.
Jörg Steinleitner: Sie schildern seelische Abgründe und perfide Verbrechen. Wie schreibt man so etwas, ohne sich selbst darin zu verlieren – abgedunkelte Schreibhöhle oder lichtdurchflutetes Arbeitszimmer?
Sebastian Fitzek: Es ist schon paradox: Je grausamer eine Geschichte ist, desto schöner muss der Ausblick sein, den ich beim Schreiben habe. Aus diesem Grund habe ich meinen Schreibtisch in den Wintergarten gewuchtet. Der ist zwar viel zu groß für den kleinen Raum, aber von hier aus habe ich einen herrlichen Blick in den bewaldeten Garten und auf einen Mini-Teich. Ich glaube, das stellt den Ausgleich her, wenn ich ein verliebtes Entenehepaar beobachte, während der Held meines Buches gerade am Ersticken ist.
Das Interview wurde in Auszügen abgedruckt im Krimi-Magazin 2010
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