TEXTGRÖSSE:
Nele NeuhausKrimiautorin
Windkraft und Phantasie


Die Autoren-Karriere von Nele Neuhaus ist einzigartig: Ihre ersten beiden Romane brachte sie im Eigenverlag heraus. Doch bereits mit "Schneewittchen muss sterben" landete sie einen Bestseller, der sogar verfilmt wird. Die Pferdenärrin lebt mit ihrem Mann im Taunus


Jörg Steinleitner:  Frau Neuhaus, in Ihrem neuesten Krimi Wer Wind sät spielt der Streit um die Windkraft eine große Rolle. Was halten Sie selbst von dieser Technik?

Nele Neuhaus:  Ich bin in dieser Frage tatsächlich zwiegespalten. Auf der einen Seite finde ich es sehr wichtig, dass Techniken entwickelt werden, die eines Tages eine echte Alternative zur Kernenergie bieten, ohne die Umwelt mehr als unbedingt nötig zu belasten. Auf der anderen Seite halte ich die Windenergie, wie sie heute genutzt wird, für schwierig. Die riesigen Windparks sind tatsächlich nicht besonders schön anzusehen und diese Problematik habe ich bei "Wer Wind sät" aufgegriffen. Niemand möchte einen Wald von Windrädern direkt vor seiner Haustür haben, die saubere Energie jedoch nutzen. Ein hochinteressanter Widerspruch und jede Menge Raum für Diskussionen, die mich im Verlauf meiner Recherchearbeiten fasziniert haben. Jeder hat für sich auf seine Weise ein bisschen recht und ein bisschen unrecht, doch wie löst man das Problem, wie findet man einen Konsens, mit dem alle einigermaßen leben können? Natürlich habe ich auch keine ultimative Lösung entdeckt, aber gerade vor dem Hintergrund der Aktualität des Themas ergeben sich womöglich für jeden selbst interessante Denkanstöße.

Jörg Steinleitner:  Eine Figur in Ihrem Roman, es ist der Umwelt-Staatssekretär Achim Waldhausen, beschreiben Sie ziemlich gnadenlos: „Er hatte Karriere gemacht, indem er Fehltritte und Fehlentscheidungen anderer ausgenutzt und sich auf ihre Sessel geschleimt hatte.“ Kann es sein, dass Sie gewisse Vorbehalte gegenüber Menschen aus dem Politikbetrieb haben?

Nele Neuhaus:  Mein Vater war Landrat und dadurch waren meine Geschwister und ich quasi von klein auf mit dem Thema „Politik“ konfrontiert. Ich kann nicht behaupten, dass ich per se Vorbehalte gegen Politiker habe, ich denke, dass die meisten Menschen, die in die Politik gehen oder irgendwann dorthin gelangen, zuerst einmal idealistische Vorstellungen haben, die aber im Laufe der Jahre und mit der Realität schwinden. Leider gibt es aber auch immer wieder machtgierige Menschen, die ihren Posten oder eben die Fehler anderer ausnutzen, um selbst zu profitieren. Ich glaube mittlerweile, dass der Politikbetrieb korrumpiert und das Drumherum oftmals in Versuchung führt, Dinge zu tun, die man unter anderen Umständen nicht tun würde. Und dann ist es natürlich auch so, dass ein Mensch, der es zu etwas gebracht hat, sei es Vermögen, Macht, Ruhm oder einen gewissen Status, der also im gnadenlosen Licht der Öffentlichkeit steht, natürlich eine ganz andere „Fallhöhe“ hat als Otto Normalverbraucher. In Romanen, wie ich sie schreibe, geht es um menschliche Abgründe, um Fehlentscheidungen, kleine Fehler, Affekthandlungen, die plötzlich unabsehbare Folgen nach sich ziehen. Zum Beispiel bei dem von mir erfundenen Kultusminister Lauterbach in "Schneewittchen muss sterben". Es ist für die Leserinnen und Leser viel interessanter, einen erfolgreichen Menschen straucheln zu sehen, als einen, der nichts zu verlieren hat. Leider sieht man ja auch im wahren Leben immer wieder, dass erfolgreiche Menschen nicht nur durch Freundlichkeit und Glück nach ganz oben gelangt sind, sondern durchaus auch ihre Ellbogen gebraucht haben und dabei den ein oder anderen hinter sich gelassen haben, der womöglich auf eine Gelegenheit zur Rache sinnt. Das ist für eine Krimiautorin natürlich perfekt! Abgesehen davon habe ich in menschlicher Hinsicht absolut nichts gegen Politiker oder Banker, Schauspieler, Manager oder Unternehmer, solange sie anderen keinen Schaden zufügen.

Jörg Steinleitner:  Ihre Krimis sind raffiniert erzählt. Gleichzeitig thematisieren Sie aktuelle Gesellschaftsthemen. Kann Literatur die Welt verbessern?

Nele Neuhaus:  Ich denke nicht, dass Literatur die Welt verbessern kann. Aber sie kann Denkanstöße geben. Menschen zum Nachdenken bringen. Gerade meine Krimis, die ja in einer realen Gegend vor realen Hintergründen angesiedelt sind, vermitteln den Lesern das Gefühl der Authentizität. Vielleicht, mag man sich denken, kann sich das genau so abgespielt haben! Oder doch nicht? Das ist meiner Meinung nach eine faszinierende Möglichkeit, die Realität mit der Fiktion zu vermischen. Als ich vergangenes Jahr angefangen habe "Wer Wind sät" zu schreiben, hatte ich keine Ahnung, dass das Thema Windenergie genau jetzt so brisant und hochaktuell diskutiert werden würde. Aber genau deshalb vermute ich, dass meine Leserinnen und Leser eventuell zum Nachdenken angeregt werden. Und das ist ja nicht so verkehrt!

Jörg Steinleitner:  Was würden Sie in Deutschland als erstes ändern, wenn Sie könnten?

Nele Neuhaus:  Ich würde den Wasserkopf der Bürokratie verkleinern, so schnell wie möglich. Es ist unglaublich kompliziert geworden in Deutschland. Ich spreche aus Erfahrung, da wir eine Fleischfabrik betreiben. Was es da mittlerweile an Formularen, an Dokumentationspflichten und Regeln gibt – das ist unglaublich! Jedes Händewaschen muss quasi dokumentiert werden, dabei ist das eine Selbstverständlichkeit. Viel Energie verpufft durch Umständlichkeiten – in jedem Lebensbereich.

Jörg Steinleitner:  Ihre beiden Ermittler heißen Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein. Welche dieser beiden Figuren mögen Sie persönlich lieber und weshalb?

Nele Neuhaus:  Ich mache zwischen Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff keinen Unterscheid, was meine Vorliebe betrifft. Beide sind gänzlich unterschiedliche Charaktere und dadurch für mich jeder auf seine Weise interessant, voller Facetten und Entwicklungsmöglichkeiten. Sie lieben und leiden zu lassen, macht mir schon Spaß! Und ich denke, es ist einfach ein zusätzlicher Handlungsstrang in meinen Büchern, der meine Leserinnen und Leser fasziniert. Im Gegensatz zu einem Guido Brunetti in Venedig, der seit 18 Bänden dieselbe Frau, denselben Chef und dieselbe Sekretärin hat, ändert sich für Bodenstein und Pia Kirchhoff immer mal wieder was. Und so ist es doch auch im wahren Leben, nicht wahr?

Jörg Steinleitner:  Sie wechseln häufig Schauplatz und Erzählperspektive, auch sorgen Sie mit parallel verlaufenden Geschichten für Abwechslung. Wie präzise bereiten Sie Ihren Plot vor – oder anders herum gefragt: Wie spontan sind Sie beim Schreiben?

Nele Neuhaus:  Bei meinen ersten Büchern, die ich ja ohne jede Unterstützung und im Selbstverlag herausgebracht habe, war ich sehr spontan und habe die Geschichte und die Figuren quasi beim Schreiben entwickelt. Mittlerweile gehe ich organisierter und professioneller an den Plot heran. Zuerst ist da die Grundidee, die ich hin und her drehe und wende, bis ich die richtige Stelle gefunden habe, an der ich den Hebel ansetzen will. Dann ersinne ich mir die Figuren, denke mir eine ganze Vita für jeden Einzelnen aus, denn ich muss sie ja kennenlernen und wissen, wie sie ticken. Erst wenn alle Charaktere „stehen“ mache ich mich an den Ablauf der Handlung, an das „Drehbuch“. Ich schreibe einen Szenenplan, ein Gerüst, an das ich mich später beim Schreiben halte. Unterstützt wird das von meiner Lektorin, mit der ich mich regelmäßig und ausführlich bespreche und hin und wieder kontrovers diskutiere. Sie hat ein wenig mehr Distanz als ich, kann mich gelegentlich bremsen oder anspornen. Man darf nicht vergessen, dass das Schreiben auch ein Handwerk ist, das man immer besser beherrscht, je öfter man es macht. Und mindestens genauso wichtig wie eine gute Phantasie sind Disziplin und Durchhaltevermögen, wenn es mal stockt. Und das tut es. Immer mal wieder …

Jörg Steinleitner:  Der Weg, der Sie zur Bestseller-Autorin machte, war kein leichter. Ihre ersten beiden Bücher veröffentlichten Sie auf eigene Faust, nachdem kein Verlag sie veröffentlichen wollte. Was machte Sie so sicher, dass es mit Ihnen und dem schriftstellerischen Erfolg klappen muss?

Nele Neuhaus:  Zuerst einmal sollte man an dieser Stelle den Begriff „Erfolg“ definieren. Für mich war es ein Erfolg, als ich mein erstes gedrucktes Buch in Händen hielt. Es war der 25. September 2005 als das allererste Exemplar von Unter Haien mit der Post kam und es war einer der glücklichsten Tage meines Lebens. Da konnte ich noch nicht ahnen, wie das Buch bei den Lesern ankommen würde. Alles, was mir widerfahren ist, war ein Erfolg: die Lesungen, die immer besser besucht wurden, die ersten Bestellungen der Buchhändler, die Nachfrage nach einem nächsten Buch, das erste Interview, der erste Fernsehbeitrag. 1.000 verkaufte Bücher waren ein Riesenerfolg für mich. So vermessen, dass ich nach einem Rang auf der Bestsellerliste geschielt hätte, war ich nie und „sicher“ war und bin ich mir nie, Selbstzweifel gehören zum täglichen Brot eines Autors.

Jörg Steinleitner:  Aber dann kam auf einmal der große Verlag und bot Ihnen einen Vertrag an.

Nele Neuhaus:  Das Angebot des Ullstein-Verlages war ein grandioser Schritt in die richtige Richtung, die Entscheidung, diesen Schritt zu tun, traf ich auch spontan und aus dem Bauch heraus, wie die meisten Entscheidungen, die ich treffe. Auf „gute“ Ratschläge habe ich nie gehört. Nun werden meine Bücher von Millionen Menschen gelesen und geliebt, ein wahrhaftig wundervolles Gefühl. Aber viele Gästebucheinträge auf meiner Webseite, viele Fanbriefe oder die Fragen meiner Leserinnen und Leser zu meinen Büchern bedeuten mir beinahe mehr als die Besteller-Rankings. Ich habe nie geschrieben, um „Erfolg“ zu haben, sondern weil ich Menschen unterhalten wollte. Das will ich noch heute, deshalb gebe ich mir immer sehr viel Mühe. Und als Dank dafür, dass ich oft im rechten Moment das nötige Quäntchen Glück hatte, gründe ich zurzeit eine Stiftung, in die die Einkünfte aus den Verkäufen meiner Bücher fließen werden. Mit dieser Stiftung will ich die Lese-, Schreib- und Sprachkompetenz von Kindern fördern, die nicht das Glück haben, in einer Familie wie meiner aufgewachsen zu sein. Vielleicht kann ich auf diese Weise ein kleines bisschen von meinem Erfolg weitergeben.

Jörg Steinleitner:  Frau Neuhaus, Sie haben bereits den Vertrag für drei weitere Romane mit Ihren sympathischen Ermittlern in der Tasche. Sie scheinen am Ziel Ihrer Träume zu sein – oder gibt es da noch etwas?

Nele Neuhaus:  Wer keine Träume mehr hat ist ein armer Mensch! Ich habe noch jede Menge Träume und Ziele. Ich möchte noch etwas von der Welt sehen, bisher konnte ich durch Firma, Pferde und Schreiben nur selten verreisen. Ich möchte meine Stiftung bekannt machen und vielen, vielen Kindern helfen, eine bessere Chance im Leben zu bekommen. Ich möchte gesund bleiben und noch sehr viele Bücher schreiben, um anderen Menschen spannende Unterhaltung und schöne Lesestunden zu schenken. Ich möchte neugierig bleiben, neugierig auf die Menschen und das Leben. Und zufrieden. Das Glück ist nur eine Momentaufnahme, Zufriedenheit aber bleibt.



Das Interview wurde in Auszügen abgedruckt im Krimi-Magazin 2011

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