Der in New York, Monte Carlo und Potsdam lebende Starsdesigner Wolfgang Joop spricht über Erotik, Macht, Melancholie, die Abgründe der Modewelt und seinen ersten Roman "Im Wolfspelz".
Jörg Steinleitner: Sie schildern einen Menschen in einer tiefen Lebenskrise: Seine Arbeit als Puppenspieler – wie Sie den Stardesigner Wolf in "Im Wolfspelz" nennen – macht ihm keine Freude, er hat den Eindruck nur von Lügnern umgeben zu sein. Dabei sucht er nach einem Halt in der wahren Liebe. Ein Großteil des Erzählten haben Sie selbst so erlebt. Heute haben Sie, berichten die Gazetten, in Ihrem Freund Valeri einen Menschen gefunden, der Ihnen Halt gibt. Kann man denn überhaupt noch guten Gewissens "Ich liebe dich" sagen?
Wolfgang Joop: Das Wort "Liebe" ist leider eines der am meisten missbrauchten. Es gibt oft keine Auskunft mehr über ein wahres Gefühl, das es eigentlich meint. Wir sprechen so oft über den so genannten "Werteverlust" unserer Gesellschaft. Schlimmer noch ist es, dass Worte ihre Bedeutung und ihren Wert verloren haben. Vieles ist Lüge bis hin zur Unverständlichkeit. Dennoch bringt uns ein unvernünftiger oder glückseliger Moment dazu "ich liebe dich" zu sagen. Und wenn diese Worte aus reinem Herzen kommen, werden sie verstanden werden. Fühlt man Liebe, vergisst man Gott sei dank alle Vorsicht und Erfahrung. Glück ist, vom Glück überrascht zu werden.
Jörg Steinleitner: Sind Liebe und Wahnsinn Verwandte? Muss man sich für eine gute Liebe auch bis zu einem bestimmten Grad lächerlich machen?
Wolfgang Joop: "Verliebt sein" gleicht einer schweren Neurose. Man ist abhängig, also unfrei, völlig unobjektiv und handelt irrational. Liebe dagegen ist eine Kraft, die alles verändern kann. Liebe schließt alle möglichen Fehler ein und vergibt sie gleichzeitig. Liebe setzt den Kopf Schach matt und lässt doch fühlen, dass man lebt. Und Leben ist halt ein Risiko, das unvermeidlich ist.
Jörg Steinleitner: Sie schreiben einmal: Frauen küssen gerne und wollen ihre Sinne schwinden sehen – Männer wollen Kontrolle – sind das nicht Klischees?
Wolfgang Joop: Klischees sind erprobte Wahrheiten, die nicht deshalb lächerlich sind, weil sie so oft zitiert werden. An Klischees kann man sich orientieren - oder sie widerlegen. Ganz wie man will.
Jörg Steinleitner: Auf S. 140 stellt sich Wolf die Frage, ob Transsexuelle auf dem Weg in eine paradiesische Zukunft sind. Ist in Ihren Augen die geschlechtlich nicht festgelegte Sexualität die Zukunft? Wenn ja, warum?
Wolfgang Joop: Der Mensch der Zukunft ist multifunktional. In der Gesellschaft, der Arbeit, der Erotik, Sexualität. Das modische Verhalten der jungen Generation ist ein Indiz dafür.
Jörg Steinleitner: Wolf eröffnet seinem Geliebten erst einmal ein Bankkonto, damit Ordnung in sein Leben einkehrt. Ist das nicht typisch deutsch? Welche tiefere Bedeutung steckt dahinter? Macht?
Wolfgang Joop: Ein eigenes Bankkonto steht für Selbstständigkeit. Mit diesem Geschenk an Josh will Wolf dem Haltlosen das Gefühl von Ordnung, Legalität und sozialer Akzeptanz geben. Das Vorhaben scheitert an bürokratischen Regeln. Josh ist das gleichgültig. Für ihn gelten keine Regeln.
Jörg Steinleitner: Welche Rolle spielt und spielte Macht für Sie als Motivation für Ihr Schaffen?
Wolfgang Joop: Das, was Männer im allgemeinen als "Macht" bezeichnen, finde ich angreifbar. Mit meinem Schaffensdrang versuche ich Neues zu erproben und damit mich selbst. Ich suche nach meinen Grenzen und versuche sie, hin und wieder, wenn möglich zu überwinden. Eigene Visionen zu haben und sie zu realisieren, empfinde ich als persönliche Freiheit und als Privileg.
Jörg Steinleitner: Waren Sie einmal bereit, "für Unsterblichkeit zu sterben"? – Wolf erwähnt diesen Gedanken einmal.
Wolfgang Joop: Es heißt: wer unsterblich sein will, muss früh sterben. Was übersetzt heißt: gelingt es dir, einmal die Welt zu beeindrucken, verschwinde danach. Der zweite Versuch könnte so misslingen, und die Legende würde zerstört werden. Ich dagegen habe mich wie Wolf überall zu lange aufgehalten – aber auch auf keinem Lorbeerblatt ausgeruht.
Jörg Steinleitner: Wolf sagt einmal: "Ich habe nur aus Kacke Bonbons gemacht." ("Turn faillure into art") – Wie stehen Sie in Bezug auf Ihr eigenes Schaffen zu diesem Satz?
Wolfgang Joop: Aus Kacke Bonbons machen, ist eine vulgäre Umschreibung für das Wort Marketing . Früh lernte ich, aus einem Fleck im Hemd, ein Design zu kreieren. Man hat mich einmal in der F.A.Z. als begnadeten Dilettanten bezeichnet. Ich bedankte mich dafür. Traf die Kritik doch auf eine Tatsache: die Dinge, die ich tat, tat ich spontan ohne langes Abwägen. Nahm die Mittel, die mir zur Verfügung standen ohne lange nach besseren Ausschau zu halten. So blieb in mir stets der Verdacht, ich hätte es besser machen können und ein anderer an meiner Stelle hätte es besser gemacht.
Jörg Steinleitner: "Ich will die Art, wie Leute über mich denken, ändern!" sagt Wolf einmal. Wollen Sie das auch mit Ihrem Buch erreichen? In welcher Hinsicht fühlten Sie sich bislang missverstanden?
Wolfgang Joop: Schon während des Schreibens wusste ich, dass ich etwas von mir preisgeben würde, das Vielen bisher verborgen geblieben war: meine Melancholie. Eine vielleicht sehr deutsche Wesensart. Dazu meine Fähigkeit zur Selbstironie. Nie fühlte ich mich als "Hauptgewinn der Spaßgesellschaft". Letztere kannte ich nicht. Und gehörte auch nicht in ihre Mitte.
Jörg Steinleitner: Einige Protagonisten Ihres Werkes sind unschwer als bestimmte Stars der Modebranche zu identifizieren. Das gesamte Milieu beschreiben Sie als falsch, verdorben, drogensüchtig. Haben Sie diesen Menschen, denen Sie auch einen Teil Ihres Erfolges zu verdanken haben, kein schlechtes Gewissen gegenüber? Warum nicht?
Wolfgang Joop: In meiner Geschichte beschreibe ich Gesehenes und Gehörtes. Gleichzeitig denunziere ich nicht. Das Milieu, um das geht, denunziert sich selbst.
Jörg Steinleitner: Sie bezeichnen Models als "Puppen", die "dem Selbstmord nahe sind" – und schreiben, dass alle logen, "die man in diesem Job traf". Warum entwickeln sich die Menschen ausgerechnet in dieser Branche derart negativ?
Wolfgang Joop: Der ständige Zwang zum äußerlichen Vergleich, destabilisiert jeden emotional. Um sich zu schützen, benutzt man als Waffe den Zynismus. "Die Beschäftigung mit Schönheit erzieht zur Boshaftigkeit", heißt es im Buch. Man vergleicht eben nicht nur, man wird auch verglichen. Und diese Erkenntnis kann verletzend und grausam sein. Das, was in der Mode so dringend verändert werden muss, ändert im wahren Leben nicht viel. "Andauernd geht es eigentlich um nichts".
Jörg Steinleitner: Wolf ist selten direkt an Handlungen beteiligt. Meist schildert er die Begegnungen mit Stripperinnen, Prostituierten, Orgien, Frauen ohne Slips und Drogen unbeteiligt, als hätte er damit nichts zu tun. Entspricht das auch Ihrer Wahrnehmung, wenn Sie sich in dieser Szene bewegen? Gibt es da nie die Versuchung, Teil der Gier zu werden? Ist Wolfs Enthaltsamkeit mit der Ihren identisch?
Wolfgang Joop: Freude hat mit Vergnügen nichts zu tun. Freude ist anhaltend, Vergnügen hat den "Hangover" zur Folge. Wolf als mein alter Ego blieb vom Geschehen unberührt. Er ist nicht "cool", er sucht nach Wärme und nach der "verlorenen Zeit" und der eigentlichen Bedeutung von Worten. Und Worte, die heute so achtlos geworfen werden, dass sie unverständlich geworden sind.
Jörg Steinleitner: Muss man ein bisschen „spießig“ – wie Wolf sagt – sein, um in der gefährlichen Mode-Szene überleben zu können? Haben Sie in Situationen gefährlicher Verlockungen in letzter Konsequenz Enthaltung gezeigt? Welche Bedeutung haben dabei Ihre Herkunft und Kindheit? Wolf hört in einer Szene, die er aus der Vogelsperspektive erlebt, das Lied „Sah ein Knab ein Röslein stehn...“ – ist das nicht der Ruf der unschuldigen Kindheit?
Wolfgang Joop: Mode zeigt sich heute infantilistisch. Dahinter steckt die Sehnsucht nach Unbekümmertheit der Jugend. Diese aber ist in Wahrheit längst nicht mehr unbeschwert. Die Welt des Konsums erstickt ihre Fantasie und nimmt ihnen die Freiheit des Träumens. Wolf sehnt sich nach seinen Wurzeln, nach einem „Zuhause“, nach einer Zeit, als man noch alte Lieder hörte und sie selber sang. Eine Zeit vor MTV. Einer Zeit anderer Stille.
Jörg Steinleitner: Auf S. 80 klingt an, dass Wolf Maler hätte werden sollen – was bewegt Sie an dieser Sehnsucht – an etwas "von beständigem Wert zu arbeiten"?
Wolfgang Joop: Ein Maler zum Beispiel ist mit seinem Werk allein. Er braucht nicht die Welt, um ihn herum. Er darf tun, was er tun will und muss, nicht, was man ihm rät, zu tun. Sein Werk entsteht nicht aus einer Summe von Kompromissen, er tut nicht das, was der Markt von ihm erwartet, sondern das, was er selbst von sich erwartet. Wolf fragt sich, warum er nicht diesen Weg der „Selbsttherapie“ gegangen ist, denn sein Schmerz scheint unheilbar zu sein.
Jörg Steinleitner: Wolf erzählt am Ende auch von der Entfremdung seiner eigenen Mode gegenüber. Wie kann so etwas passieren? Und: Was machen Sie in Ihrer neuen Modelinie "Wunderkind" anders?
Wolfgang Joop: "Wunderkind-Couture" entstand aus dem Bedürfnis, in Stoff das Statement abzugeben, das ich der Welt der Mode schuldig geblieben war. Um das zu erreichen, hatte ich mich unabhängig gemacht und machen müssen: von Sponsoren, Klienten, Meinungen, Warnungen, Managern. An all diesen war „Wolf“ in seiner Karriere letztlich gescheitert.
Jörg Steinleitner: Was bedeutet es für Sie, ein Kunstwerk von Jeff Koons im Wohnzimmer hängen zu haben?
Wolfgang Joop: Jeff Koons hat in seiner Arbeit Grenzen überschritten, vor allem die des sogenannten guten Geschmacks. Er mischte Kitsch mit Pornografie. Er überperfektionierte das Dekorative. Ein blasphemischer Akt in der intellektualisierenden Welt der Kunst. Das alles und mehr sind für mich Ausdrucksformen einer persönlichen Freiheit. Jetzt aber finde ich es wichtiger, meine eigene Kunst finanzieren zu können, als Freunde zu erwerben.
Jörg Steinleitner: "Blumenkinder nach einem Reaktorunfall" oder "Das Dekolleté ist der Bauchnabel" sind Schlagzeilen, mit denen Mode-Leute in Ihrem Buch Trends beschreiben – warum kommt von Wolf niemals solch ein Satz oder Bild? In Ihrem wahren Leben mussten Sie sicherlich häufig derartige Quotes erfinden?
Wolfgang Joop: Mode soll man betrachten oder fühlen. Worte wirken meist deplatziert und überstrapaziert. Das dadaistische an den Modequotes wollte ich unbedingt zitieren. Das geht nur, wenn man sie oft genug gehört und selbst formuliert hat.
Jörg Steinleitner: Mehrmals äußern Sie als Grund für Wolfs Reichtum, seine Geschäftspartner hätten ihn an ihrer Gier teilhaben lassen – damit schieben Sie die Verantwortung für das Geldverdienen ab. Warum? Das Geld hat doch Wolf durch seine Leistung verdient?
Wolfgang Joop: Meine Geschichte wägt nicht ab nach Gerechtigkeit oder Gut und Böse. Wolf sagt, glaube ich, dass nur der reich ist, der etwas immer gegen etwas Besseres eintauschen kann. So wie "Hans im Glück". Dieser ist Wolf leider nicht.
Jörg Steinleitner: Die Geschichte mit dem wertlosen Kreuz, das Joshs Mutter von Wolf geschenkt bekommt, ist sehr schön. Inwieweit steht sie als Metapher für Ihre eigene Wahrnehmung des Ökonomischen?
Wolfgang Joop: Materieller Wert ist immer eine Behauptung. Das soll die Geschichte mit dem Kreuz erzählen.
Jörg Steinleitner: Sehr oft zieht sich in ihrem Buch jemand aus und legt sich ins Bett. Empfinden Sie das Bett als einen sicheren Ort des Rückzugs? Warum?
Wolfgang Joop: Im Bett wird man geboren und stirbt, wenn man Glück hat. In der Zwischenzeit ist es traurig, darin allein zu liegen ...
Jörg Steinleitner: Der sein eigenes Fleisch verkauft, zahlt immer drauf – heißt es in Ihrem Werk. Auch Sie verkauften und verkaufen gelegentlich Ihr eigenes Fleisch, beispielsweise für Foto-Kampagnen. Warum tun Sie das, obgleich Sie dabei "draufzahlen"?
Wolfgang Joop: Fehler machen ist menschlich. Fehler in seinem Beruf zu machen ist unmenschlich. Man sollte länger überlegen, ob man sich selbst auf den Markt wirft.
Jörg Steinleitner: Ist das so, wie in "Im Wolfspelz" beschrieben, dass man als Wolfgang Joop nach Hause kommt und da sitzen ein Haufen Jugendliche herum, die Modell werden wollen?
Wolfgang Joop: Dass ein Haufen junger Leute Modell werden wollen, passiert nicht nur Zuhause. Sondern überall und immer wieder.
Jörg Steinleitner: Was bedeutet für Sie das Bild vom 6-jährigen Mädchen, gekleidet in einen Müllsack?
Wolfgang Joop: Das Bettel-Mädchen im Müllsack im reichen New York haben damals viele gesehen. Es hat existiert und beschämt mich noch heute, wenn ich mich daran erinnere.
Jörg Steinleitner: Zum Schluss findet sich Wolf mit einem Hund an seiner Seite wieder. Er denkt an seine Kindheit. Warum fällt es einem mit einem Tier leichter, die Unschuld der Kindheit in sich zu entdecken?
Wolfgang Joop: Die Liebe des Hundes ist eine ohne Worte. Man spürt sie einfach. Sollte das nicht immer so sein?
Jörg Steinleitner: Mögen sie Käsekuchen noch immer? Wo gibt es in Berlin den Besten?
Wolfgang Joop: Käsekuchen finde ich in Berlin überall.
Jörg Steinleitner: Herr Joop, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview wurde in Auszügen abgedruckt in buchSzene 2003/III.
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