Alexander Huber ist einer der beiden Huber-Buam, die mit ihren lebensgefährlichen Klettereien auch außerhalb der Bergsteiger-Szene für Aufruhr sorgen. Ein Gespräch über das Abstürzen, gigantische Felswände und den Kinofilm der Hubers, AM LIMIT.
Jörg Steinleitner: Herr Huber, über den Film AM LIMIT, den Sie mit Ihrem Bruder Thomas und dem Regisseur Pepe Danquart drehten, sagten Sie einmal: „Das wird den Bergfilm revolutionieren.“ Wieso denn das?
Alexander Huber: Ganz einfach: Es geht in diesem Film nicht nur um den Klettersport, sondern vor allem auch um das Leben und Innenleben der Menschen, die diesen Sport praktizieren. Darum, was uns als Sportler bewegt. Und eben nicht nur darum, wie klein die Leisten sind, die wir ziehen können.
Jörg Steinleitner: Was unterscheidet den Kletterer vom „normalen“ Menschen?
Alexander Huber: Wir Kletterer sind sehr passionierte Menschen, aber ich würde nicht sagen, wir sind andere Menschen.
Jörg Steinleitner: Sie unternahmen am El Capitan im Yosemite Valley in Kalifornien einen Rekordversuch im Speed-Klettern, Sie versuchten in Patagonien die drei schwierigen Gipfel der Cerro-Torre-Gruppe zu überschreiten – was war die gefährlichste Situation während der Dreharbeiten?
Alexander Huber: Die gefährlichste Situation war mein Sturz im Yosemite Valley. Da ist mir etwas passiert, was mir noch nie passiert ist: Durch den Ausbruch eines Griffes ist eine Situation von der einen Sekunde auf die andere aus der Kontrolle geraten. Ich stürzte auf einmal 17 Meter tief und musste versuchen, das Ganze zu überleben. Da bin ich dem Tod von der Schaufel gesprungen. Das könnte danach klingen, dass wir Hasardeure sind. Aber das war auch für mich eine einzigartige Situation. Ich hoffe, dass es für mein Leben wirklich die einzige brenzlige Situation bleiben wird.
Jörg Steinleitner: Was denkt man im Augenblick des Sturzes?
Alexander Huber: Für mich war es ganz klar, es ist eine sehr ernste Geschichte. Man weiß, es geht extrem weit runter, wie weit, das weiß man natürlich nicht so genau, ob es 10 oder 15 oder was Meter sind, aber es war extrem weit. Das habe ich in dem Moment gewusst. Ich habe mich aber nicht aufgegeben, ich hatte das Gefühl, dass ich das überleben kann. Es ist auch kein Film des Lebens in mir abgelaufen. Ich war einfach komplett konzentriert auf die Situation.
Jörg Steinleitner: Kann man auf solche einen Sturz denn überhaupt Einfluss nehmen?
Alexander Huber: Für mich war das Wichtigste, dass der Sturz nicht außer Kontrolle gerät, dass ich nicht kopfüber stürze. Ich habe es tatsächlich geschafft, auf diesen 17 Metern meinen Körper aufrecht zu halten, obwohl zwischen drin eine Landung war in einer 70 Grad steilen Platte – das war für mich eine Art Rettung, weil ich dann ziemlich nach vorne hinaus katapultiert wurde. Das Wichtige beim Stürzen ist, dass man immer den Körper senkrecht hält. Da hilft mir vielleicht die Tatsache, dass ich als Kind und Jugendlicher Turner war und man gerade als Turner sehr vertraut damit ist, in der Luft zu fliegen. – Durch die Abgänge vom Reck, wenn man Salti macht – hat man ein sehr gutes Gespür, in welcher Lage sich der Körper gerade in der Luft befindet und wie man den Flug in der Luft kontrollieren kann. Das ist mir gelungen.
Jörg Steinleitner: Hat sich Ihr Leben seit dem Sturz verändert?
Alexander Huber: Nein, wir Kletterer machen etwas, was prinzipiell Gefahrenpotenzial in sich birgt, das ist uns ja bewusst. Außerdem gibt es im Leben immer etwas, was von außen kommt und man nicht hundertprozentig kontrollieren kann. Sei das jetzt im Autoverkehr oder auch im alltäglichen Leben. Wenn es blöd läuft, kann es einen immer erwischen. In jeder Sekunde des Lebens.
Jörg Steinleitner: Was für Verletzungen haben Sie sich zugezogen?
Alexander Huber: Massive Verletzungen in den Sprunggelenken.
Jörg Steinleitner: Spüren Sie da noch etwas?
Alexander Huber: Ich habe leichte Folgeschäden, ich habe eine starke Vernarbung meines linken Sprunggelenks, in der Kapsel; ich muss halt viel Krankengymnastik betreiben, um die Mobilität des Gelenks wieder zurückzuerobern. Oft morgens, wenn ich mit dem Gehen beginne, dann dauert es ein paar Momente, bis es wieder warm ist, das Gelenk, aber die Ärzten haben mir gesagt, das sind Sachen, die brauchen eine gewisse Zeit, bis sie wieder vollständig zurück sind in der Normalität. Es ist nicht wirklich eine Einschränkung für mein Leben. Ich denke, in fünf Jahren werde ich davon auch wirklich nichts mehr spüren. Außer, dass ich eine dickere Kapsel habe.
Jörg Steinleitner: Haben Sie eigentlich eine Lebensversicherung?
Alexander Huber: Ja, die habe ich irgendwann abgeschlossen, aber die würde natürlich in keinster Hinsicht irgendwas mit Bergsteigen versichern. Eine wirklich tragende Lebensversicherung für mein Leben würde keinen Sinn machen. Wenn ich das Bergsteigen mit versichern wollte, dann hätte ich derart horrende Prämien, dass ich die nicht bezahlen könnte. Und mit normalen Prämien würde keine einzige Lebensversicherung der Welt das Bergsteigen versichern.
Jörg Steinleitner: Was macht für Sie den El Capitan so einzigartig?
Alexander Huber: Es ist eine gigantische Wand, die in ihrer Dimension so nah an der Zivilisation nirgendwo zu finden ist. Und sie ist halt einfach eine Spielwiese für Kletterer der neuen Generation, das heißt Freiklettern an diesen riesigen Wänden. Das ist etwas Neues. Erst in den letzten 15 Jahren ist es möglich geworden, dass wir Kletterer im Können so weit fortgeschritten sind, dass wir an diesen Wänden frei klettern können. Das heißt, uns nicht an Haken hochzuziehen, sondern nur mit den Fingerspitzen und den Kletterschuhen uns an der natürlichen Oberfläche nach oben zu hangeln.
Jörg Steinleitner: Sie haben aber ein Seil dabei …
Alexander Huber: Ein Seil ist zur Sicherung dabei, auch Haken, aber eben nur, um das Seil einzuhängen, um im Falle eines Sturzes vom Seil aufgefangen zu werden. Nicht als Hilfsmittel.
Jörg Steinleitner: Sie können also auch längere Strecken fallen. Was sind die längsten Strecken, die Sie am El Capitan geklettert sind, ohne dass Sie eine neue Sicherung genutzt haben?
Alexander Huber: Das hängt stark von der Schwierigkeit ab, da gibt’s halt durchaus mal Strecken von 30, 40 Metern, aber vielleicht nicht unbedingt gerade an der schwierigsten Stelle, an der Schlüsselstelle.
Jörg Steinleitner: Welchen Schwierigkeitsgrad hat diese Schlüsselstelle?
Alexander Huber: An der „Nose“ haben wir beim Speed-Klettern Schwierigkeiten bis zum oberen 8. Grad frei geklettert, alles darüber technisch. Da unterscheidet sich das Freiklettern vom Speed-Klettern: Beim Speed-Klettern geht es nicht darum, ob man frei klettert oder technisch klettert, sondern es wird die Technik angewandt, die in diesem Moment das schnellste Vorwärtskommen ermöglicht.
Jörg Steinleitner: Ist Klettern eine Kunst?
Alexander Huber: Man kann natürlich sagen, Klettern ist eine Kunst, allerdings kann man es nicht mit dem Malen oder mit der Bildhauerei vergleichen, mit gestaltenden Künsten. Unsere Kunst liegt darin, dass wir Bewegungen ausführen, die Präzision brauchen, die eine hohe Kunst des Bewegens erfordern. In dieser Hinsicht ist das Klettern vergleichbar mit dem Kunstturnen. Für mich ist das Klettern eine Kunst, aber in erster Linie sind wir Sportler.
Jörg Steinleitner: Was empfinden Sie dabei, wenn man Sie und Ihren Bruder die „Huberbuam“ nennt?
Alexander Huber: Na ja, das ist für uns einerseits ein ganz natürlicher Begriff, der zu unserem Leben schon immer dazu gehört hat, wir wurden in der ganzen Kletterszene immer so genannt; mittlerweile ist es natürlich schon ein bisschen lustig: Wir sind jetzt 38 und 40 Jahre, wir sind einfach gestandene Männer und keine „Buam“ mehr, aber das gehört einfach dazu. Das ist einfach so.
Jörg Steinleitner: Für den Film mussten Sie noch enger als sonst mit Ihrem Bruder zusammenarbeiten. Sind Sie sich auch auf die Nerven gegangen?
Alexander Huber: Enger war es vielleicht gar nicht, aber durch diese Arbeit an dem Film sind natürlich Spannungen entstanden. Nicht nur zwischen uns, sondern vor allem auch zwischen uns als Sportlern und dem ganzen Film. Ganz klar: Wenn man so intensiv zusammenarbeitet, dann entstehen Spannungen, die sonst nicht entstehen. Da hatten wir durchaus zu kämpfen. Aber wie es halt so ist in einer lang andauernden Beziehung – wir Brüder stehen ja seit 38 Jahren in einer Beziehung – da gibt’s halt einfach ein auf und ab, aber davon lebt jede Beziehung.
Jörg Steinleitner: Was schätzen Sie am meisten an Ihrem Bruder?
Alexander Huber: Was unsere Beziehung auszeichnet ist die Zuverlässigkeit. Wir stehen zueinander und egal wie beschissen es in einem Moment gerade einmal ausschaut, oder wenn wir uns gerade mal überhaupt nicht verstehen, ich kann mich darauf verlassen: Er ist mein Bruder und wir werden auch in Zukunft miteinander unser Auskommen haben. Wir sind einfach eine Beziehung, die nicht zu trennen ist. Man kann eine Ehe trennen, aber man kann nicht die Blutverbindung trennen. Und die steht bei uns.
Jörg Steinleitner: Befinden Sie sich am Zenit Ihrer Leistungsfähigkeit oder können Sie noch besser werden?
Alexander Huber: Ich würde nicht sagen, dass ich irgendwo besser werde, aber es gibt immer noch Bereiche im Bergsteigen, wo ich noch nicht an die Grenze gekommen bin und ich werde sicherlich versuchen, mir noch das eine oder andere Projekt zu ermöglichen, das für mich etwas Neues darstellt.
Jörg Steinleitner: Was sind Ihre nächsten Ziele?
Alexander Huber: Das nächste ist ganz klar: Wir versuchen, diesen Speed-Rekord tatsächlich zu holen. September/Oktober werden Thomas und ich wieder im Yosemite Valley sein und wir hoffen halt dieses Mal kein Pech mitzunehmen, sondern viel Glück . Und dann wird uns dieser Speed-Rekord hoffentlich auch gelingen.
Jörg Steinleitner: Wäre es für Sie denkbar, ähnlich wie damals Arnold Schwarzenegger, vom Profi-Sport ins Profi-Showbusiness zu wechseln?
Alexander Huber: No way!
Jörg Steinleitner: Warum nicht?
Alexander Huber: Weil es einfach nicht meine Welt ist. Meine Welt ist die des Bergsteigens. Ich lebe zwar auch vom Bergsteigen, indem ich der Öffentlichkeit von meinen Erlebnissen erzähle, Vorträge halte, aber meine Kernwelt ist einfach das Bergsteigen.
Jörg Steinleitner: Herr Huber, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview wurde in Auszügen abgedruck in OUTDOOR. Die besten Bücher zu Sport, Spaß und Abenteuer 2007.
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