Die deutsche Krimi-Queen, Charlotte Link über Killer, Depressionen und ihr neuestes Hörbuch "Der fremde Gast".
Jörg Steinleitner: Frau Link, Ihren ersten Roman schrieben Sie als Teenager. Mittlerweile liegt rund ein Dutzend Bestseller aus Ihrer Feder vor. Ist Ihnen das Schreiben zur Routine geworden oder haben Sie nach wie vor Respekt vor dem weißen Dokument am Bildschirm?
Charlotte Link: Der weiße Bildschirm ist für mich immer noch, oder vielleicht sogar mehr als früher, eine große Herausforderung. Zwei Dinge lassen das Schreiben nie zur Routine werden: Zum einen der ständige Erfolgsdruck, und zum anderen der Umstand, dass durch die zwangsläufig wachsende Lebenserfahrung sowohl menschliche Charaktere als auch Schicksalsläufe wesentlich komplexer gesehen und damit immer schwieriger in ihrer Gestaltung und Darstellung werden.
Jörg Steinleitner: Auch in Ihrem neuen Hörbuch "Der fremde Gast" entwickeln Sie wieder ein raffiniert verbrecherisches Szenario. Welche Ingredienzien sind für Sie für das Gelingen eines Spannungsromans unabdingbar?
Charlotte Link: Wichtig erscheint mir immer, das verbrecherische Element – also den durchgeknallten Psychopathen oder den mitleidslosen Killer – in ein Zusammenspiel mit der ganz alltäglichen Normalität zu bringen.
Jörg Steinleitner: Ihre Protagonisten sind oft auch ganz normale Menschen ...
Charlotte Link: ... mit Problemen und Sorgen, Menschen, mit denen wir alle uns identifizieren können. Für mich stellt das den eigentlichen Schrecken dar: In unsere vielleicht nicht heile, aber doch sehr überschaubare und relativ geordnete Welt bricht das Böse plötzlich ein, obwohl wir doch denken, dass es immer nur ganz woanders stattfindet.
Jörg Steinleitner: Gibt es in Ihrer Seele einen schwarzen, finsteren Teil, der es Ihnen ermöglicht, das Böse in Ihren Krimis so plastisch zu beschreiben?
Charlotte Link: Ich glaube, jeder von uns hat einen „schwarzen, finsteren Teil“ in seiner Seele. Die Frage ist, wie weit man mit ihm in Kontakt treten möchte. Ich beschäftige mich gerne mit meinen Abgründen – vielleicht gerade deshalb, weil ich im Alltag ein überaus harmoniebedürftiger Mensch bin.
Jörg Steinleitner: In "Der fremde Gast" beschäftigen Sie sich dem Thema "Selbstmord" und "Depression“. Kennen Sie melancholisch-depressive Phasen aus Ihrem eigenen Leben?
Charlotte Link: Natürlich kenne ich solche Phasen aus meinem Leben. Mir hat am allermeisten immer meine Arbeit geholfen, als Grundlage für einen klar strukturierten Tag.
Jörg Steinleitner: Eine Protagonistin wirft in "Der Fremde Gast" die Frage auf, ob jemand durch Zufall Opfer wird. Wie sehen Sie das?
Charlotte Link: Ich bin davon überzeugt, dass weder das Opfer durch Zufall Opfer ist, noch der Täter durch Zufall Täter. Wir stricken entscheidend an unseren Rollen im Leben mit. Wobei es allerdings fraglich ist, wie weit wir die freie Wahl haben, unser Strickmuster zu bestimmen. Denn das wird häufig in einem Lebensalter festgelegt, in dem wir noch völlig wehrlos sind.
Jörg Steinleitner: Sie sind eine viel beschäftigte, sehr begehrte Autorin – wie und wo entspannen Sie sich?
Charlotte Link: Ich entspanne beim Lesen, leider aus Zeitmangel zu selten, und beim Joggen durch den Wald. Jeden Morgen bin ich von sechs bis sieben Uhr mit meinem Hund Jako unterwegs.
Jörg Steinleitner: Ihr neues Hörbuch spricht Maria Furtwängler, die seit drei Jahren als Tatort-Kommissarin ermittelt. Was bedeutet es für Sie, dass eine derart bekannte Stimme Ihren Roman erzählt?
Charlotte Link: Ich fühle mich geehrt, dass Frau Furtwängler den Text spricht. Ich bin eigentlich ein seltener Tatort-Seher, versuche aber die Sendungen mit ihr als Kommissarin anzuschauen.
Jörg Steinleitner: Frau Link, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview wurde abgedruckt in Hörbuch Magazin 2/2005.
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