TEXTGRÖSSE:
Fee CzischPädagogin und Buchautorin
"Otto holt den Ball. Fein."


Die Grundschulpädagogin Fee Czisch von der LMU München über ihre ganz persönliche Schulreform


Jörg Steinleitner:  Frau Czisch, Ihr Buch heißt "Kinder können mehr" – mehr als was?

Fee Czisch:  ... als wir ihnen zutrauen, ermöglichen und als wir wahrnehmen.

Jörg Steinleitner:  In welchen Bereichen unterschätzen wir sie am meisten?

Fee Czisch:  In allen. Sie haben sehr viel größere intellektuelle, emotionale und sprachliche Kapazitäten als wir denken.

Jörg Steinleitner:  Weshalb funktioniert die herkömmliche Schule nicht?

Fee Czisch:  Weil man in Klassen unterrichtet. Man versucht homogene Gruppen zu machen. Die Schüler sollen alle auf gleichem Niveau sein. So geht das nicht.

Jörg Steinleitner:  Warum nicht?

Fee Czisch:  Weil jeder Mensch anders ist. Es gibt keine Gruppe von Kindern, in der alle genau gleich funktionieren. Das ist ja das Elend der Lehrer. Sie sind dann gezwungen, das Angebot für die Mittelgruppe passend zu machen, so dass die Schwächeren überfordert sind und die Stärkeren unterfordert. Das bringt mit sich, dass man einen langweiligen Unterricht machen muss und die meisten scheitern.

Jörg Steinleitner:  Was ist das andere an Ihrem Lernmodell?

Fee Czisch:  Ich mache einen differenzierten Unterricht. Jedes einzelne Kind lernt auf seine Weise. Zudem arbeiten die Kinder in Gruppen und bewegen sich. Sie sind sehr viel miteinander in Kontakt. So lernen sie soziale und emotionale Fähigkeiten ganz nebenbei.

Jörg Steinleitner:  Ihr Buch statuiert auch die Regel "Lesen muss sich lohnen" – was meinen Sie damit genau?

Fee Czisch:  Wenn ich Kindern den mühsamen Prozess des Lesen-Lernens abverlange, da darf ich sie nicht abspeisen mit blöden Sätzen wie "Otto holt den Ball. Fein." Das ist keine spannende Erkenntnis. Das, was die Kinder lesen, muss spannend und lustig sein. Dann wissen sie, dass in den Büchern etwas steckt, was sich lohnt, zu entziffern.

Jörg Steinleitner:  Wie stehen Spielen und Lernen zueinander?

Fee Czisch:  Spielen macht Freude. Freude führt zur Ausschüttung von Glückshormonen, und die öffnen die Eingangskanäle zum Gehirn. Deswegen muss man dafür sorgen, dass Kinder mit Freude lernen. So sind auch die Lehrer gefeit vor dem Burnout-Syndrom, weil sie glückliche Kinder um sich herum haben. Und die Eltern sind auch zufrieden. Das lohnt sich!

Jörg Steinleitner:  Frau Czisch, vielen Dank für das Gespräch.



Das Interview wurde abgedruckt in buchSzene 2005/I. www.buchszene.de

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