Jagd, Frauenraub und kein Platz für Romantik – Sabine Kuegler, 32, erzählt in Dschungelkind von ihrer unglaublichen Kindheit und Jugend im Urwald.
Jörg Steinleitner: Frau Kuegler, Sie lebten von Ihrem sechsten bis zu Ihrem 17. Lebensjahr im Dschungel von West-Papua. Ist der Urwald ein grünes Paradies?
Sabine Kuegler: Es ist eine schöne Welt, die nicht von Menschen regiert wird, sondern von der Natur. Sie bestimmt, wann man schlafen geht und wann man draußen ist. Körperlich ist der Urwald aber kein Paradies. Man friert viel und hungert oft, weil man alles, was man isst, sich erst erjagen muss. Außerdem kann sich einfacher Moskitostich innerhalb von ein paar Stunden zu einer Infektion entwickeln, an der man stirbt. Das Leben hier ist körperlich viel leichter, aber psychisch viel schwieriger.
Jörg Steinleitner: Welche Regeln gelten im Urwald?
Sabine Kuegler: Sehr strenge, klare Regeln: Wenn jemand einem anderen die Frau oder ein Wildschwein gestohlen hat, dann wird Rache genommen. Das kann auch tödlich enden. Dafür schützt man die, die man liebt. Für einen Europäer mag das sehr brutal erscheinen. Aber das Leben im Urwald dreht sich ums Überleben und nicht um den Eigenbedarf. Es wird alles geteilt.
Jörg Steinleitner: Wie nahe waren Sie den Eingeborenen?
Sabine Kuegler: Wir lebten auf einer Lichtung, die zwischen mehreren Stammesgebieten lag. Es war eine Neutralzone. Die Fayu sind Jäger und Sammler. Sie haben vier verschiedene Hütten im Urwald und leben so lange in einer Hütte, bis dort alles rundherum aufgegessen ist und ziehen dann zur nächsten Hütte. Viele haben sich eine extra Hütte gebaut und haben so direkt mit uns gelebt.
Jörg Steinleitner: Hatten Sie niemals Angst, umgebracht zu werden?
Sabine Kuegler: Nein, denn da wir weiß waren, kamen wir von einem anderen Stamm. Das bedeutete, dass wir nicht unter der Blutrache standen. Meine Eltern haben sich im Urwald nie Sorgen um mich gemacht. Hier in Deutschland schon. Einmal kam ich eine halbe Stunde zu spät nach Hause, da hatte meine Mutter schon die Polizei gerufen.
Jörg Steinleitner: Aber im Urwald wurden doch auch Frauen geraubt?
Sabine Kuegler: Ja, weil es nicht genug gab. Der Häuptling war dafür verantwortlich, den jungen Männern Frauen zu besorgen. Also sind sie los und haben bei einem anderen Stamm Frauen gestohlen.
Jörg Steinleitner: Sie waren 17, als Sie den Urwald verließen. Sie waren damals schon eine hübsche Frau. Hatten Sie sich nie im Dschungel verliebt?
Sabine Kuegler: Nein, weil alles, was mit romantischer Liebe zu tun hat im Dschungel keinen Platz hat. Man heiratet da nicht aus Gefühlen, sondern aus praktischen Gründen. Ich aber hatte die ganzen romantischen Bücher gelesen und das passte nicht mit dem Leben im Urwald zusammen. Bei den Fayu wird gekuckt, wie nah sind sie verwandt? Kann sie gut ernten? Solche Sachen waren da viel wichtiger als das Aussehen oder romantische Gefühle.
Jörg Steinleitner: Hat Sie jemals ein Fayu in Europa besucht?
Sabine Kuegler: Nein, das wäre unvorstellbar. Ich weiß nicht, wie die das verkraften würden.
Jörg Steinleitner: Träumen Sie davon, irgendwann wieder ganz in den Dschungel zurückzukehren?
Sabine Kuegler: Im Augenblick geht das gar nicht. Meine Kinder sind schon zu sehr an die Zivilisation gewöhnt. Außerdem stecke ich nun fest in einem System, in dem ich arbeiten muss, eine Wohnung habe und meine Kinder ernähren muss. Wenn ich genug Geld hätte, um nicht mehr arbeiten zu müssen, dann würde ich gerne in den Urwald zurück ziehen.
Jörg Steinleitner: Frau Kuegler, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview wurde abgedruckt im Magazin HörBuch 2005/I. www.buchszene.de
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