TEXTGRÖSSE:
Qiu XiaolongSchriftsteller
“Der Mond ziert dein Fenster”


Der chinesische Schriftsteller Qiu Xiaolong erklärt asiatische Liebesmetaphern, erzählt von poetischen Polizisten, der Farbe Grün, einem China im Umbruch und seinem Debüt-Roman – dem Krimi "Tod einer roten Heldin".


Jörg Steinleitner:  Herr Qiu, die Charaktere Ihres Romans "Tod einer roten Heldin" lieben das Essen über alles. Wie können Sie in Amerika ohne die chinesische Küche leben?

Qiu Xiaolong:  Das Essen ist wichtiger Bestandteil unserer Kultur. Selbst Konfuzius äußerte sich ausführlich diesem Thema. Vielleicht habe ich den Krimi auch geschrieben, um all diese kulinarischen Genüsse in meiner Phantasie zu durchleben. Ich selbst esse am liebsten rohen Aal-Reis. In China habe ich ihn immer selbst zubereitet. In den US-Supermärkten bekommt man aber leider nur gefrorenen Aal.

Jörg Steinleitner:  Sie erzählen in Ihrem Roman nicht nur von schönen Frauen und poetischen Polizisten, sondern auch von Korruption, vom Niedergang der Staatsbetriebe und einer verlogenen Kaderpolitik. Begeben Sie sich damit nicht in Gefahr?

Qiu Xiaolong:  China hat einen dramatischen Wandel durchlebt. Ich halte es für falsch, dies vollkommen positiv oder negativ darzustellen. Wir befinden uns in einer Übergangsphase: Das traditionelle Wertesystem wird in Frage gestellt, obwohl ein neues noch nicht funktioniert. Natürlich ist es für mich gefährlich derart kritisch zu schreiben, aber ich kann nur schreiben, woran ich glaube.

Jörg Steinleitner:  Meinen Sie, ein Gedichte schreibender Polizist, wie Ihr Inspektor Chen, hätte im heutigen China eine Karrierechance?

Qiu Xiaolong:  Mag sein, dass er kein typischer chinesischer Polizist ist. Es gibt aber einige dichtende Funktionäre. Man munkelt auch, dass der derzeitige chinesische Außenminister Gedichte schreibt.

Jörg Steinleitner:  Eine Farbe taucht in Ihrem Roman immer wieder auf. Was hat dieses Grün für eine Bedeutung?

Qiu Xiaolong:  Danke, für Ihre Entdeckung. Auch mir ist das mit dem Grün aufgefallen. Für mich, wie für die meisten Chinesen, symbolisiert die Farbe Grün Frühling, Hoffnung und alles Lebendige.

Jörg Steinleitner:  "Wolken und Regen" ist im Chinesischen die Metapher für den Beischlaf. Auch Sie verwenden Sie in Ihrem Roman. Woher kommt sie?

Qiu Xiaolong:  Song Yu dichtete im 2. Jahrhundert v. Chr. ein berühmtes Epos über die Liaison zwischen König Chu Xiang und der Berggöttin Wu. Bei ihrer Verabschiedung versprach die Göttin, wiederzukommen – mit den Wolken und dem Regen. So wurde das Bild zu einer atemberaubenden Metapher, einem Synonym für den Beischlaf in der chinesischen Literatur.

Jörg Steinleitner:  Verraten Sie uns den schönsten chinesischen Liebesvers?

Qiu Xiaolong:  Er stammt von meinem Lehrer Bian Zilin: "Indem du die Szene durchs Fenster betrachtest, / betrittst du der fremden Szene Raum. / Der Mond ziert dein Fenster, / du zierst eines andern Traum."

Jörg Steinleitner:  Herr Qiu, danke für das Gespräch.



Das Interview wurde abgedruckt in "Krimi. Das Magazin für Wort und Totschlag" 2003.

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