Jörg Steinleitner sprach mit dem literarischen Senkrechtstarter Colson Whitehead, dem mit seinem Roman John Henry Days über einen schwarzen Arbeiterhelden ein beeindruckender Wurf gelungen ist.
Jörg Steinleitner: Mr. Whitehead, seit Ihr Roman "John Henry Days" erschienen ist, gehören Sie zu den angesagtesten Schriftstellern Amerikas und werden in einem Atemzug genannt mit Jonathan Franzen oder Jeffrey Eugenides. Was hat sich in Ihrem Alltag geändert, seit Sie ein Starautor geworden sind?
Colson Whitehead: Was mein Schreiben betrifft, habe ich nun wesentlich mehr Selbstvertrauen. Ich glaube, dass Schriftsteller alle Bestätigung der Welt brauchen können. Die größte Veränderung in meinem Leben aber ist eine ganz banale: Ich besitze nun einen schönen und bequemen Stuhl und einen großen Schreibtisch.
Jörg Steinleitner: Sie sagten einmal, Sie hätten als kleiner Junge zum ersten Mal von dem Arbeiterhelden John Henry gehört und seien sehr beeindruckt gewesen, weil es damals nicht viele schwarze Superhelden gab, allenfalls Muhammad Ali. Wer sind in Ihren Augen die schwarzen Superhelden von heute?
Colson Whitehead: Ich bezog dies natürlich auf die Helden der Popkultur. In diesem Bereich hat sich in den vergangenen 30 Jahren einiges geändert. Denken Sie nur an Mega-Stars wie Will Smith, dessen Blockbuster Kindern geniale Ideen für ihre Fantasien geben. Die Rap-Stars mit ihrem Verbrechergehabe geben wiederum eine andere Art von Inspiration, wobei ich mir über deren Botschaft nicht so ganz im Klaren bin.
Jörg Steinleitner: Wie alt waren Sie, als Ihnen klar war: Ich werde Schriftsteller?
Colson Whitehead: Sich entschließen, ein Schriftsteller sein zu wollen und tatsächlich zu schreiben ist zweierlei. Mit zehn oder elf, las ich sehr viel, auch viel Trash, und dachte mir, dass es eine feine Sache wäre, sein Geld mit Geschichten-Erfinden zu verdienen. Ich habe allerdings nicht sehr viel geschrieben bis ich das College abschloss und anfing, Artikel zu verfassen.
Jörg Steinleitner: Kann ein Schriftsteller in den Augen eines Kindes auch ein Superheld sein?
Colson Whitehead: Es gibt so wenige Schriftsteller, die tatsächlich Superstars sind, dass sich diese Frage eigentlich nicht stellt. Aber ich erinnere mich, wie ich es als Junge sehr, sehr cool fand, die Namen der Schriftsteller auf den Buchrücken zu lesen.
Jörg Steinleitner: Sie sind in New York City aufgewachsen. Was bedeutete diese Stadt für Sie als Kind und wie sehen Sie sie heute, nachdem Sie in Harvard studierten und ein berühmter Autor geworden sind?
Colson Whitehead: Sie inspiriert mich und ich komme auf verschiedenste Art und Weise thematisch immer wieder auf sie zurück. Im Laufe der Zeit habe ich in vielen ihrer Viertel gelebt, und trotzdem überrascht sie mich stets wieder aufs Neue. Ich hoffe, dass dies auch so bleibt.
Jörg Steinleitner: "John Henry Days" ist ein sehr unterhaltsamer Roman, der gleichzeitig eine moralische Aussage trifft. Was ist Ihnen bei Ihrem Schreiben wichtiger: zu unterhalten oder aufzuklären?
Colson Whitehead: Im Idealfall tut man beides. Kommerzielle Popliteratur zielt ganz klar auf Unterhaltung ab und hat das ist auch richtig so. "Aufklären" ist vielleicht auch das falsche Wort. Ich glaube, man versucht dem Leser einen neuen Blickwinkel auf die Welt zu eröffnen.
Jörg Steinleitner: Ist das Thema Rassismus in Ihren Augen nach wie vor eines der brennendsten in den USA? Ist die Situation, die Sie in "John Henry Days" beschreiben, dass nämlich zu einem Fest, das zu Ehren eines schwarzen Helden gefeiert wird, nur ein einziger schwarzer Pressevertreter kommt, amerikanischer Alltag?
Colson Whitehead: Natürlich ist Rassismus nach wir vor ein großes Problem in den USA. Vorurteile kennen aber keine Ländergrenzen. Wann immer jemand anders aussieht oder einen anderen Gott anbetet, wird es schwierig. Als mein Protagonist J. Sutter feststellt, dass er als einziger Schwarzer am Bankett teilnimmt, erlebt er eine der großen Paradoxien des Rassismus: Ist man erst einmal ins amerikanische Establishment aufgenommen, spielt die Hautfarbe nämlich plötzlich keine Rolle mehr.
Jörg Steinleitner: J. Sutter ist ein freischaffender Journalist, der sich, wie Sie schreiben, als opportunistischer "Spesenritter" von Presse-Termin zu Presse-Termin durchfrisst. Sie schildern dieses Milieu sehr glaubwürdig – zwischen abstoßend und satirisch. Haben Sie sich selbst eine Weile lang als "Spesenritter" durchgeschlagen, ehe Ihr literarischer Erfolg dafür sorgte, dass Sie sich keine Gedanken mehr über Presse-Buffets machen müssen?
Colson Whitehead: Nein, leider schrieb ich hauptsächlich Kritiken und wurde nie zu solchen spannenden Terminen geschickt. Ich habe mir dieses Schnorrerleben so vorgestellt und dann etwas übertrieben, um die Komik zu steigern. Seit das Buch veröffentlicht wurde, haben mir jedoch viele Leute gesagt, dass ich mit meinen Übertreibungen so weit nicht entfernt bin von der Wahrheit ...
Jörg Steinleitner: J. liebt Rindfleisch. In einer Szene wird ihm die Gier auf eine "Hochrippe" beinahe zum Verhängnis, weil er fast daran erstickt. Teilen Sie J.'s Leidenschaft für saftige Steaks?
Colson Whitehead: Yeah, für ein gutes Steak sollte immer Zeit sein.
Jörg Steinleitner: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview wurde abgedruckt in buchSzene 2004/I. www.buchszene.de
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