TEXTGRÖSSE:
Louise WelshSchriftstellerin
Schönheit, Sex und Rilke


Um Pornographie, Liebe und Tod geht es in Louise Welshs raffiniertem, elegisch-elegantem und soghaft spannendem Roman. "Dunkelkammer" ist das literarische Debüt der 1965 geborenen Britin. Wir unterhielten uns mit ihr über Schönheit, Sex und Rilke.


Jörg Steinleitner:  Was uns am meisten verblüfft hat an Ihrem Roman ist, wie fabelhaft Sie sich in Ihren männlichen Erzähler – einen homosexuellen Antiquar – hineinversetzen. Aus welchen Quellen bezogen Sie Ihr präzises Wissen um das Seelen- und Liebesleben von Schwulen?

Louise Welsh:  Früher war ich viel in Schwulenclubs unterwegs. Auch habe ich viele schwule Freunde, würde denen aber niemals intime Fragen über ihr Sexleben stellen. Sie würden mich zum Teufel jagen, glaube ich. Aber ich denke, wir alle erzählen gelegentlich lustige Geschichten über unser Liebesleben. Wahrscheinlich habe ich bei diesen Diskussionen einiges aufgeschnappt.

Jörg Steinleitner:  Uns hat überrascht, dass Sie als weibliche Autorin sich für das Thema Pornographie entschieden haben ...

Louise Welsh:  Es mag sein, dass Pornographie meist von Männern gekauft wird. Aber es betrifft auch uns Frauen. Ich selbst bin kein großer Fan davon. Aber ich finde, alles ist erlaubt, solange alle Beteiligten ihr Einverständnis geben und zu nichts gezwungen werden. Außerdem ist das alles sehr subjektiv, denn was für mich erotisch ist, mag für jemand anderen Pornographie sein und umgekehrt.

Jörg Steinleitner:  An einer Stelle zitieren Sie Edgar Allan Poe: "Der Tod einer schönen Frau ist das poetischste Thema auf der Welt." – Ist der Tod einer schönen Frau nicht auch eines der fürchterlichsten Themen auf der Welt?

Louise Welsh:  In der westlichen Kunst und Kultur – auch in der Werbung – gelten auf Bauch oder Rücken liegende Frauen oft als die Verkörperung von Schönheit. Kürzlich wurde der französische Fotograf, Guy Bourdin, mit einer Retrospektive im Victoria und Albert Museum in London geehrt. Er war ein sehr talentierter Modefotograf. Doch in vielen seiner Bilder sehen die Models aus, als wären sie Opfer eines Sexualmordes geworden. Ein weiteres Beispiel ist ein Spielkarten-Set, das für eine Unterwäsche-Werbekampagne herausgegeben wurde. Die Karten zeigen 50er-Jahre Schmuddel-Cover mit Models in sexy Unterwäsche. Das letzte Bild zeigt ein stranguliertes Model – die Darstellung ist sauber, ja sogar erotisch. Ich fühle mich angesichts solcher Bilder unwohl und habe versucht, auf diese Tradition aufmerksam zu machen.

Jörg Steinleitner:  Weshalb heißt Ihre Hauptperson Rilke?

Louise Welsh:  Aus mehreren Gründen: Ich bin ein Fan von Rainer Maria Rilke, der in Großbritannien nicht so bekannt ist wie Deutschland. Dann war das allererste Second Hand-Buch, das ich mir gekauft habe, ein Gedichtband von ihm. Rilke schreibt sehr schön über den Tod, was auch mein Hauptthema im Buch ist. Außerdem fand ich, passt der Name – und obwohl es im Telefonbuch von Glasgow keinen Rilke gibt, klingt er irgendwie schottisch.

Jörg Steinleitner:  Sind die pornographischen Fotos, die im Zentrum Ihres unglaublich spannenden Romans stehen, pure Erfindung oder hatten Sie derartiges Material in echt zur Verfügung?

Louise Welsh:  Ich hatte eine Kollektion anonymer französischer Pornos von der Jahrhundertwende. Diese faszinierenden Fotos waren Inspiration für einige der Beschreibungen im Buch – obwohl ich unter dem Deckmantel der Kunst auch übertrieben habe.



Das Interview wurde abgedruckt in "Krimi. Das Magazin für Wort und Totschlag", 2004.

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